Haus der Kultur

Sonja Pizonka

 »Künftig werden Wissen und Bildung, Lernen und Lehren das private und berufliche Leben bestimmen.«

Die Urkunde zur Grundsteinlegung des Bildungszentrums in Gelsenkirchen 1968 beginnt mit dem vorangestellten Zitat und begründet die Entscheidung für den Bau auch damit, »dem Bürger zur Entfaltung, dem Gemeinwesen zum Fortschritt, der Demokratie zum Nutzen« sein zu wollen. Dieses Gebäude, ein zentral gelegenes Haus für die Erwachsenenbildung (#Haus der Erwachsenenbildung), hatte die Dozentenvereinigung des Volksbildungswerks in Gelsenkirchen bereits 1957 in einem Brief an den Stadtdirektor gefordert: »Heute steht unser Volksbildungswerk unter den Volkshochschulen der Länder mit an führender Stelle. Dieses Ansehen kann aber bei weiterer Entwicklung nur dann gewahrt werden, wenn das von verschiedenen Seiten schon längst angeregte eigene Bildungsheim in absehbarer Zeit verwirklicht wird. Nachbarstädte wie Dortmund, Marl, Oberhausen sind uns inzwischen darin schon vorangegangen, so daß unsere im Revier bisher führende Stellung geschwächt wird, wenn nicht verloren zu gehen droht.«

Dezentrale Behelfslösung

In Gelsenkirchen fanden die Kurse der Erwachsenenbildung zu diesem Zeitpunkt meist abends in diversen städtischen Schulgebäuden statt. Der Rhythmus des Schuljahres bestimmte auch die Arbeit des Volksbildungswerks – in den Ferien und an Feiertagen blieben die Räume geschlossen. Die Dozent:innen wollten diese dezentrale Behelfslösung beenden. Ein Vorbild fanden sie in unmittelbarer Nähe: »Was ein solches Bildungsheim als Stätte der Begegnung und der offenen Tür an menschlicher, geistiger und politischer Wirksamkeit bedeuten kann, zeigt zum Beispiel ›die insel‹ unserer kleinen Nachbarstadt Marl. Das dortige Haus der Volkshochschule ist zum Mittelpunkt der ganzen Erwachsenenbildung geworden. Es hat sich gezeigt, daß im eigenen Heim diese Arbeit auch nicht auf Abendveranstaltungen beschränkt bleibt, sondern sich auf Vor- und Nachmittage ausdehnt. Demgemäß hat die Volksbildungsarbeit in Marl einen Aufschwung genommen, wie er nicht erwartet worden war.«

Raumprogramm

In Marl war 1955 das erste in Deutschland nach dem Krieg errichtete Haus für Erwachsenenbildung errichtet worden (Architekt: Günther Marschall); das Gebäude umfasste nicht nur Unterrichtsräume, sondern auch die Stadtbücherei mit einem Zeitschriften-Lesesaal. Auch in Gelsenkirchen musste zunächst das Raumprogramm des Bildungszentrums definiert werden. Das Bauvorhaben trug den Arbeitstitel »Haus der Kultur«, da in dem geplanten Neubau nicht nur das Volksbildungswerk untergebracht werden sollte, sondern auch die Stadtbibliothek und das Stadtarchiv.

Besuch im »Haus der Bibliotheken«

Um die eigenen Planungen konkreter zu umreißen, informierten sich die Gelsenkirchener Politiker:innen sowie die Mitarbeiter:innen von Stadtbibliothek und Volkshochschule über die Entwicklungen der Kulturinstitute in den Nachbarstädten. Volkshochschuldirektor Peter Andreas betonte: »Dieses Haus […] sollte sich in jedem Falle – nicht zuletzt aus Gründen des Ansehens unserer Stadt – mit dem vielgerühmten Fritz-Henßler-Haus in Dortmund in Größe und Zielsetzung messen können.« In Dortmund besuchten die Mitglieder der Gelsenkirchener Verwaltung und des Kulturausschusses Ende 1963 zudem das »Haus der Bibliotheken«(#Haus der Bibliotheken) am Hansaplatz (1958, Architekten: Walter Höltje, Karl Walter Schulze). In diesem Bibliotheksbau teilten sich verschiedene Institutionen ein Gebäude, in diesem Fall die Volksbücherei, die wissenschaftlich ausgerichtete Stadt- und Landesbibliothek und das Institut für Zeitungsforschung.

Fritz Hüser, Leiter der Volksbücherei, riet den Besucher:innen, großzügig und zukunftsorientiert zu planen, denn durch die nachträgliche Unterbringung der Kinderbücherei hätten sich in Dortmund Platzprobleme ergeben. In den Ursprungsplanungen sei man davon ausgegangen, die Innenstadt wäre aufgrund der »Verkehrsgefährdung« für Kinder nicht geeignet und habe deshalb zunächst auf Kinderliteratur verzichtet.

Standort

Neben dem Raumprogramm wurde auch der Standort des Bildungszentrums intensiv diskutiert. In ihrem Brief von 1957 favorisierten die Dozent:innen, ähnlich wie bei der »insel« in Marl, eine Lage im Grünen in der Nähe der Innenstadt; sie schlugen deshalb den Stadtgarten (#Josef Albers Museum Quadrat)  als Standort vor. Es gab allerdings auch kritische Stimmen zur Idee eines Hauses der Erwachsenenbildung im Zentrum. In der Buerschen Zeitung, herausgegeben im nördlichen Stadtteil Gelsenkirchen-Buer, sprach man sich für die Beibehaltung des Konzeptes vieler kleinerer Standorte aus und lehnte die Zusammenfassung von Volkshochschule und Stadtbücherei in einem Gebäude generell ab: »Die Stadtbücherei lässt sich überhaupt nicht zentralisieren; sie muss zu den Lesern gehen.« Deshalb sei es vernünftig, »wie es die Sparkasse, Spar- und Darlehnskasse und die Volksbanken machen, die Stützpunkte möglichst weit zu streuen.« Den Leser:innen und Kursteilnehmer:innen sollten lange Anfahrtswege erspart bleiben.

In der Nähe des neuen Theaters

Doch das Zentrum der Stadt wandelte sich. 1959 wurde das neue Musiktheater am nördlichen Rand der Innenstadt eröffnet (Architekt: Werner Ruhnau). Das Gelsenkirchen der Nachkriegszeit zeigte sich mit diesem neuen und international besprochenen Bauwerk als eine Stadt im Aufbruch. (#Musiktheater im Revier) 1960 betonte deshalb Oberbürgermeister Hubert Scharley, dass die Verbindung von Bücherei und Volkshochschule unbedingt im Umfeld des Musiktheaters gebaut werden müsse. Im Protokoll des Kulturausschusses hieß es dazu, »die Errichtung eines eigenen Gebäudes […] im Forum der Stadt, in der Nähe des neuen Theaters, sei lebensnotwendig.« Mit dem Ideenwettbewerb zur Gestaltung des Theatervorplatzes wurde 1962 der Standort des Bildungszentrums festgelegt. Der Münsteraner Architekt Harald Deilmann (1920–2008) gewann bei diesem Wettbewerb mit seiner Platzgestaltung den zweiten Preis – der Entwurf des Bildungszentrums erfolgte dann im Direktauftrag.

Man wird die City kaum wiedererkennen

Zuvor hatte Deilmann bereits erfolgreich an zwei weiteren Wettbewerben für diesen Standort teilgenommen: 1954 als Mitglied des Architektenteams gemeinsam mit Werner Ruhnau, Ortwin Rave und Max von Hausen am Wettbewerb zum Neubau des Gelsenkirchener Musiktheaters und 1961 am Wettbewerb zum Bau der Metallberufsschule (heute Berufskolleg für Technik und Gestaltung) nördlich des Musiktheaters. Die Eröffnung der Schule nach seinen Plänen erfolgte dann 1968. In der Presse wurde die Neugestaltung des nördlichen Innenstadtbereichs begrüßt. Zu Beginn der Bauarbeiten für das Bildungszentrum hieß es: »Das neue Haus wird ein weiterer Schritt zur endgültigen baulichen Gestaltung des Theatervorplatzes sein (Badeanstalt, Polizeiamt und ein Versicherungshaus werden ebenfalls errichtet). Dann wird man die City kaum noch wiedererkennen.«

Lage an der Florastraße

Harald Deilmann begann 1966 mit den Planungen zum Bildungszentrum und konzipierte eine Architektur, die Räumlichkeiten für Bibliothek, Stadtarchiv, Volkshochschule sowie diverse Büros und Diensträume für die Verwaltung umfassen sollte. Zwar lag der Bauplatz für das neue Haus der Bildung vis-à-vis zum Musiktheater, dazwischen verlief jedoch die stark befahrene Florastraße. Diese Lage direkt neben einer bedeutenden Verkehrsstraße veranlasste Deilmann, das Gebäude um einen geschützten Innenhof herum zu organisieren. Dazu notierte er: »Aus den Standortbedingungen an dem verkehrsreichen Straßenknoten der Flora- u. Ebertstraße wurde die den Lärmquellen abgewandte, introvertierte Gebäudeform entwickelt, die nach Fertigstellung der Anschlußbebauung über einen Binnenhof erschlossen wird.« Um Fußgängern eine vom Autoverkehr getrennte Querung der Florastraße zu ermöglichen, war in frühen Plänen auch eine Brücke mit Läden, Cafés und Kiosk geplant, die eine Verbindung zum Musiktheater herstellen sollte. Dieses »ponte vecchio-artige« Bauwerk, bei dem Deilmann den Vergleich mit der berühmten Brücke in Florenz bemühte, wurde jedoch nicht realisiert.

Sprachlabor und »Bücherei auf Rädern«

Am 21. Januar 1972 wurde das Bildungszentrum eröffnet. Dabei bildete die großflächig mit Dachschiefer verkleidete Fassade des Gebäudes einen Kontrast zum benachbarten Musiktheater mit seiner Glasfassade. Deilmann führte pragmatische Gründe an: »Diese Verkleidung bietet bei den starken Luftverschmutzungen eine praktische Wetterhaut.« In dem Gebäude mit Tiefgarage waren Volkshochschule und Stadtbücherei mit dem organisatorisch zugehörigen Stadtarchiv sowie die Büros des Kulturamts und des Generalmusikdirektors untergebracht. Im Erdgeschoss, das die Besucher:innen sowohl von der Ebertstraße als auch vom Innenhof betreten konnten, befanden sich Foyer, Kinder- und Jugendbibliothek, Zeitungsleseraum, Vortrags- und Werkräume sowie Sprachlabor. Im Sprachlabor gab es Plätze für 28 Kursteilnehmer:innen, die mittels Tonaufzeichnungen unter Anleitung Fremdsprachen erlernen konnten. Auf der Westseite neben dem Zugang zum Innenhof befand sich zudem die Zufahrt für die Autobibliothek, eine »Bücherei auf Rädern«, die den Ausleihservice zu verschiedenen Haltestellen in der Stadt brachte. Von der Eingangshalle im Erdgeschoss ging es über zwei mit eigens gefertigten »Lampenbäumen« beleuchtete Treppen in die oberen Etagen.

Veranstaltungen und Ausstellungen

Kassettierte Sichtbetondecken und unverkleidete Betonstützen in Kombination mit Ziegelböden im Erdgeschoss beziehungsweise kognakfarbenem Nadelfilz in den Obergeschossen bestimmten das Erscheinungsbild. Zu- und Abluftinstallationen blieben sichtbar und waren in verschiedenen Rottönen gestrichen. Die Eingangshalle und der offene Aufenthaltsbereich im Obergeschoss konnten auch für Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt werden. Im Haus waren die Freihand- und Musikbibliothek sowie ein Fernsehraum, Bereiche für Regie und Aufnahme ebenso wie ein Vortragssaal mit über 170 Sitzplätzen und demontierbarer Bühne untergebracht.

Kulturelles Zentrum 1919

Zum 25-jährigen Bestehen des Bildungszentrums wurde 1997 in einer Ausstellung noch einmal zurückgeblickt – nicht nur auf das letzte Vierteljahrhundert, sondern auch auf den ersten Wettbewerb für das Gelände. Denn dort, auf der damals sogenannten »Wiese«, war 1919 ein Wettbewerb ausgeschrieben worden, um ein kulturelles Zentrum mit »Haus der Kunst«, »Haus der Bildung« und »Haus der Arbeit« zu schaffen. Auch Hans Scharoun hatte unter dem Titel »Der Mensch ist gut« einen Wettbewerbsbeitrag eingereicht. Aufgrund der damaligen wirtschaftlichen Situation wurden diese Pläne nicht realisiert. Es sollte vielmehr über fünfzig Jahre dauern, bis in der nördlichen Innenstadt Gelsenkirchens neben Theater auch Literatur und Bildungsangebote ihren Platz fanden.

Der vorliegende Text wurde zuerst publiziert in: Hans-Jürgen Lechtreck, Wolfgang Sonne, Barbara Welzel (Hg.): Bildung@Stadt_Bauten_Ruhr, Dortmund 2022, S. 342–357.