Ausdruck des Kulturwillens einer großen Stadt?

Anna Kloke

Wie ein Stapel Bausteine setzt sich auf dem Archivfoto eine Architektur zusammen, deren Stringenz durch das fortlaufende Fugenbild einer Waschbetonfassade verstärkt wird. Außenliegende Fenster unterstreichen die Plastizität des Baukörpers, die in der Fotografie durch das eingefangene Schattenbild zusätzlich hervorgehoben wird. Lediglich vereinzelt über die Mauern ragende Pflanzen lockern die Nüchternheit des Bildes auf. Das Gebäude zeichnet ein nach Norden abfallendes Gelände stufenartig nach und schafft so Terrassen. Zur Straßenseite hin öffnet sich der Baukörper über Betonstützen und definiert so einen Eingangsbereich. Die weiß gestrichenen Stahlbeton-Brüstungselemente der Schall- und Sonnenschutzbalkone heben sich von der Waschbetonfassade ab. Auch hier verstärkt ein Spiel von Licht und Schatten die Dramaturgie. Das Außengelände ist mit ineinander verschachtelten, flachen Sichtbetonelementen gestaltet. Ein wohl platziertes Schild weist auf die Nutzung dieses differenzierten Baukomplexes als Volkshochschule hin.

Die Geschichte der VHS Essen

Bereits 1919 wurde mit Unterstützung des damaligen Oberbürgermeisters und späteren Reichskanzlers Hans Luther die Volkshochschule Essen gegründet, zunächst untergebracht im Grillo-Haus am Burgplatz und später im Keramikhaus am Flachsmarkt. Man wollte »zu echtem Volkstum, freudigem Gemeinsinn und edlem Menschentum erziehen, […] in den Zusammenhang des Weltgeschehens einführen und dadurch die Berufsarbeit froh und wertvoll machen«, so die Satzung der neuen Bildungsanstalt. Nach der Schließung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 gab 1946 – ein Jahr nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs – die britische Militärregierung dem Antrag der Stadt Essen auf Wiedereröffnung der Volkshochschule statt, so dass der Unterricht in verschiedenen öffentlichen Einrichtungen behelfsweise wieder aufgenommen werden konnte.

Der Wettbewerb

1962 beschloss der städtische Rat die Errichtung des Hauses der Erwachsenenbildung, in dem neben der Volkshochschule auch die Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie untergebracht werden sollte. Drei Jahre später lobte man einen Wettbewerb unter fünf eingeladenen Architekten aus und wählte den Holleplatz, »eine[n] der Empfangsräume der Essener City«, als Planungsfläche. Der Lageplan aus dem Wettbewerb demonstriert die verkehrsgünstige Innenstadtlage des Grundstücks unweit des Essener Hauptbahnhofs an der Hollestraße/Ecke Steeler Straße, letztere eine der Hauptverkehrsadern der Stadt. Da keiner der eingereichten Entwürfe gänzlich überzeugte, sicherte man sich durch das Auslassen der Erstplatzierung und die Vergabe eines zweiten Preises an Wilhelm Seidensticker (1909–2003) sowie eines dritten an Heinz Budde (1924–2008) Verhandlungsspielraum für das weitere Vorgehen. Seitens des Dezernats für Stadtentwicklung wurde der Wunsch geäußert, an solch prominenter Stelle ein Gebäude als »Auftakt zu dem interessanten Gesamtbild der Essener City« zu errichten, das »einen energischen und markanten Festpunkt« bildet. Gemeinsam mit dem Oberbürgermeister favorisierte man aus diesem Grund den Entwurf Seidenstickers, der mit einem »lebendigen und spannungsreichen Wechselspiel« der Baumassen, gekrönt von einem sieben-geschossigen Hauptbaukörper, vor allem städtebaulich, aber auch wirtschaftlich überzeugte. Der Entwurf Buddes hingegen wurde wegen seiner funktionellen und pädagogischen Vorzüge unter anderem vom Arbeitskreis Kultur, dem damaligen Leiter der VHS Wilhelm Godde und dem Baudezernenten befürwortet. Im Laufe der Verhandlungen musste das Raumprogramm auf Grund von Finanzierungsschwierigkeiten und der zusätzlichen Aufnahme des Institut Français angepasst werden. Schließlich beauftragte man 1967 beide Architekten zur Einreichung einer gemeinsamen Entwurfsplanung, verbunden mit der Auflage, ein aus Gründen der besseren Finanzierbarkeit in zwei Bauabschnitten zu realisierendes Gebäude zu konzipieren.

So entstanden 1969–1971 zunächst die Bereiche der VHS mit provisorischen Räumen für das Institut Français. Im zweiten Bauabschnitt wurden dann die Hörsäle der Akademie und die endgültigen Räume des Instituts realisiert. Das zuvor als städtebaulich markant gelobte Hochhaus, prägnant dargestellt im Wettbewerbsbeitrag Seidenstickers, entfiel. Dennoch pries der Oberbürgermeister Horst Katzor, in dessen Amtszeit auch das 106 Meter emporragende Rathaus gebaut wurde, beim Richtfest des zweiten Bauabschnitts 1974 den Skelettbau aus vorgefertigten Stahlbetonteilen als »funktionell und bauästhetisch überzeugende[n] Ausdruck des Kulturwillens einer großen Stadt«. Man habe mit solch einem vorbildlichen Bau mitten in der City die Demokratisierung von Bildung, Wissenschaft und Kultur gefördert: »Gerade diejenigen Menschen, die nach teilweise armseliger Jugendschule jetzt als Berufstätige weiterlernen möchten, hätten im Zeichen einer sozialen Demokratie Anspruch auf zeitgemäße Bedingungen der Weiterbildung«, so der SPD-Politiker. Das Gebäude drücke die »Bedeutung der modernen Erwachsenenbildung« und den »Wille[n] unserer Stadt zur Bildung« bestens aus. Man sei »auf dem Weg zu einer menschlichen Stadt […] mit dem Weiterbau dieses Hauses einen guten Schritt vorangekommen«, so Katzor. Die Stadt Essen wollte eine »architektonische Atmosphäre der Freiheit und der spielerischen Überraschung« schaffen.

Baubeschreibung

Tatsächlich ermöglichte das im Sinne des »Demokratischen Bauens« gestaltete Haus mit seinen ausladenden Terrassen je nach Blickwinkel immer neue An- wie auch Aussichten. Die etwa 30 Studienräume führten zumeist auf Dachterrassen hinaus. Auch ein Malatelier mit Dachgarten sowie ein modernes Sprachlabor zählten zum Raumprogramm. Offen gestaltete Grundrisse mit Zwischengeschossen ermöglichten spannende Blickbeziehungen und vor allem eine Teilhabe am Geschehen. Der Wunsch nach Demokratisierung von Bildung, Wissenschaft und Kultur fand insbesondere in der Gestaltung des »Forums für Kulturelle Manifestation«, dem »Kernstück der gesamten Anlage« seinen Ausdruck. Wie dem Erdgeschossgrundriss und verschiedenen Fotografien zu entnehmen, öffnet sich das Forum zum Foyer, der Cafeteria und über eine Vollverglasung an der Außenwand auch zur Umgebung. Darüber hinaus ist hier bewusst eine freie Bestuhlung gewählt worden, die nicht frontal einem erhöhten Podium gegenübergestellt ist. Um eine Kommunikationssituation zu schaffen, wurden stattdessen über Eck liegende Ränge angeordnet, die sich zu einem Moderationsbereich abtreppen. Ein Wandrelief, Beistelltische mit Aschenbechern sowie die Ausstattung mit niedrigen, lederbespannten Armlehnstühlen vermitteln sowohl Wertigkeit als auch eine gewisse Geselligkeit.

Die Wand- und Deckengestaltung unterstreichen das Raster nicht nur als statisches (Statisches Raster 4,80 × 7,20 Meter generiert aus dem Grundraster von 1,20 × 1,20 Meter), sondern auch als gestalterisches Motiv des Gebäudes im Außen- wie im Innenbereich. Dementsprechend hat der Fotograf die modernen Drehstühle an der Bar in exakt gleicher Ausrichtung und die Aschenbecher auf den Cafeteria-Tischen in einer Anordnung von genau gleichen Abständen zueinander abgelichtet. Die Aufnahmen, welche in zahlreichen (Fach-)Zeitschriften publiziert wurden, könnten auch den Konferenzbereich eines Wirtschaftsunternehmens abbilden und vermitteln dem Betrachter in ihrer Darstellung von Ordnung, Seriosität und einer gewissen Eleganz die Bedeutung der Erwachsenenbildung für Stadt und Land zu jener Zeit. Werner Morgenstern, Kulturausschussvorsitzender der Stadt, sah 1974 in seiner Ansprache zum Richtfest »nun auch den Zeitpunkt einer Harmonisierung der wirtschaftlichen und kulturpolitischen Gesichtspunkte bei der Bewertung der Stadtentwicklung für gekommen.«

Reaktionen auf den Neubau

Die technische und räumliche Ausstattung galt in der Fachwelt als vorbildlich und verstärkte den bestehenden Andrang an Volkshochschulen zu jener Zeit. Die Landesregierung lobte das Haus als beispielhaft und erklärte es gar 1974 zur Volkshochschul-Modelleinrichtung des Landes NRW. Dies wurde mit einer Baukostenbezuschussung von 50 Prozent des zweiten Bauabschnitts, der anteiligen Finanzierung der Innenausstattung in Höhe von 300.000 DM und der Förderung weiterer Lehrerstellen unterstrichen. Im selben Jahr verabschiedete NRW das »Erste Gesetz zur Ordnung und Förderung der Weiterbildung im Lande Nordrhein-Westfalen«, welches die Weiterbildung als vierte Säule des Bildungswesens bestimmte und ihre Förderung zur kommunalen Pflicht erklärte. Es entstanden in der Folge viele neue Einrichtungen zur Weiterbildung. 1979 wurde daraufhin die Heinrich-Thöne-Volkshochschule in Mülheim von Dietmar Teich nach einem Wettbewerbs-Entwurf der Architektengemeinschaft Seidensticker-Spantzel-Teich-Budde-Gutsmann-Jung errichtet, die unter anderem mit ihren Terrassierungen an das Essener Haus der Erwachsenenbildung erinnert und 2015 unter Denkmalschutz gestellt wurde.

Abbruch und Neubau

In Essen wies man in den 1990er Jahren eine gesundheitsgefährdende PCB-Belastung im Haus der Erwachsenenbildung nach. Man errechnete Sanierungskosten in Höhe von sieben Millionen Euro, die wiederum Abrisskosten von zwei Millionen Euro vergleichend gegenübergestellt wurden. Schließlich beschloss die Stadt im Jahr 2000 den Bau einer neuen Volkshochschule am Burgplatz. Das von Hartmut Miksch entworfene, mit seiner Vorhang-Glasfassade an das historische Filmtheater Lichtburg anschließende Schulgebäude, wurde 2004 eröffnet (#Interview mit Michael Imberg). Das Haus der Erwachsenenbildung verfiel zusehends und stand bis zum vollständigen Abbruch 2014 als vermeintlich abschreckendes Beispiel der Architektur der 1970er Jahre an prominenter Stelle im Herzen der Stadt (#Architektur der »Neustadt«). Seit Jahren klafft nun an diesem ehemaligen Empfangsraum der Essener City eine großformatige Lücke.

Der vorliegende Text wurde zuerst publiziert in: Hans-Jürgen Lechtreck, Wolfgang Sonne, Barbara Welzel (Hg.): Bildung@Stadt_Bauten_Ruhr, Dortmund 2022, S. 308–323.