Juwel des Nordens

Christin Ruppio

 »Als ebenso schönes wie teures Juwel des Nordens soll der Neubau des Naturkundemuseums schon im nächsten Jahr glitzern und strahlen.« Bürgermeister Willi Reinke

Bereits 1928 stellte ein Dortmunder Zeitungsartikel fest: »Der Fredenbaumwald […] ist ja die Lunge, durch welche der ganze Norden unserer Stadt atmet.« Und dies galt nicht nur für die Dortmunder, die im Norden lebten. Mehr als hundert Jahre, bevor der Dortmunder Westfalenpark mit der Bundesgartenschau 1959 eröffnet und zu einem weithin bekannten Anziehungspunkt wurde, war der Fredenbaum bereits ein wichtiges Naherholungsgebiet der Region. Es verwundert daher nicht, dass er Ende des 19. Jahrhunderts Ziel der ersten Straßenbahnlinie der Stadt war und ab den 1960er Jahren in der Diskussion um einen Standort für das Naturkundemuseum (seit 2020 Naturmuseum) zu einem Favoriten wurde.

Stetig wachsende Sammlung

Um 1900, als der Fredenbaumpark erschlossen wurde, gründete sich auch der Naturwissenschaftliche Verein Dortmund mit dessen Unterstützung 1912 das Museum für Naturkunde in der Viktoriastraße eröffnet werden konnte. Bereits zwei Jahre später machte man sich allerdings Gedanken über einen weiteren Umzug, da die Sammlung – insbesondere durch Schenkungen von Bürgerinnen und Bürgern – immens angewachsen war. Doch erst 1931 konnte ein neues Haus für die stetig wachsende Sammlung in der Innenstadt an der Balkenstraße (heute Friedensplatz) gefunden werden. Während eines Luftangriffes im Zweiten Weltkrieg brannte ein Großteil dieses Gebäudes komplett aus, auch 90 % der Exponate wurden zerstört. Durch großzügige Schenkungen wurde die Sammlung jedoch in kürzester Zeit neu aufgestellt.

Verbesserung der Lebensumstände

In der Nachkriegszeit ließ diese bedeutende Sammlung sensibler Exponate in einem nur in Teilen wiederaufgebauten Museum den Ruf nach einem Neubau lauter werden. Bereits 1953 gab es konkrete Überlegungen dazu, und das Architektenpaar Mechtild Gastreich-Moritz und Ulrich Gastreich legte erste Pläne für einen Neubau vor. Damals allerdings noch für ein Grundstück im Rombergpark. Die Standortfrage – ob nun im Dortmunder Norden oder Süden – beschäftigte den Rat der Stadt bis in die 1970er Jahre hinein. Im Pressespiegel, den das Stadtarchiv Dortmund bewahrt, lässt sich diese lebhafte Diskussion gut nachvollziehen. Die Artikel aus diesem Zeitraum lassen auch erkennen, wie sehr die Anwohnenden der Nordstadt auf eine Verbesserung der Lebensumstände in ihrem Viertel drängten.

Nordstadt

Die so genannte Nordstadt – also der nördlichste Innenstadtbezirk – war im Zweiten Weltkrieg stark zerstört worden und zeichnete sich durch eine hohe Bevölkerungsdichte und eine heterogene Anwohnerschaft aus. Ein wichtiger Impuls für die angestrebte Nordstadt-Erneuerung war der Ausbau der Münsterstraße, also jener Straße, an die heute auch das Naturmuseum grenzt. Während einige den Rombergpark im Süden favorisierten oder argumentierten, dass Museen in das Zentrum der Innenstadt gehörten, setzte sich die SPD dafür ein, dass das Museum in der Nordstadt (#Bauten für Kunst und Kultur im Ruhrgebiet und ihre Standorte) gebaut wurde.Da im Fredenbaumpark zur Bauzeit eine der höchsten Emissionsraten der Stadt herrschte – die Luft also für die empfindlichen Exponate alles andere als ideal war –, bedeutete der Bau an dieser Stelle auch höhere Baukosten für entsprechende Schutzmaßnahmen. Dass der Rat 1972 dennoch die Entscheidung für den Fredenbaumpark traf, war ein wichtiges Zeichen für die Zukunftsperspektiven der Nordstadt und ein Bekenntnis zur Bedeutung von Kulturbauten für die Stadtwahrnehmung.

Skulpturale Anmutung

Das Architektenpaar Mechtild Gastreich-Moritz und Ulrich Gastreich – die bereits die frühesten Pläne für einen Neubau im Rombergpark vorgelegt hatten – wurde eingeladen, den Museumsbau in enger Absprache mit dem Museumsdirektor Wolfgang Homann zu planen. Gastreich-Moritz und Gastreich schufen einen Bau mit skulpturaler Qualität, indem sie eine dynamische Komposition aus sternförmig ineinander gesetzten Quadraten und Achtecken entwarfen. Der nordöstlich gelegene Ausstellungsbereich ist auch nach außen hin gut an den zackenförmigen Auskragungen erkennbar, während der Verwaltungsbereich im Südwesten mit seinen quadratischen Räumen zurückhaltender wirkt. Die skulpturale Anmutung des Baus wird auch durch die Natursteinfassade aus Gneis-Quarzit verstärkt. Ein Umbau zwischen 2014 und 2020 fügte der Fassade mit einem Eingangsbereich aus Glas und Cortenstahl neue Materialien hinzu. Die Idee einer materiellen Repräsentation der Natur in der Architektur setzten Gastreich-Moritz und Gastreich im Inneren mit einer hellen Natursteinverkleidung in Fußböden und Treppenläufen fort.

Verzahnung mit Umgebung

Zwischen dem Ausstellungs- und dem Verwaltungstrakt liegt ein Vortragssaal, dessen Untergeschoss als Außenraum ausgebildet wurde. Dies war ein Verweilort auf dem Wanderweg, der über das gesamte Gelände und an dieser Stelle durch die Architektur hindurchführte. Diese Öffnung wurde mittlerweile verschlossen, so dass die Idee der Verzahnung nur noch auf Plänen nachvollziehbar ist. Die Außenanlagen wurden ebenfalls von dem Architektenpaar geplant. Auf einer Entwurfsskizze für die Grünverbindung von 1975 ist erkennbar, wie die unmittelbare Umgebung des Museumsbaus geplant wurde – mit einem künstlich erzeugten Teich, Schulgärten und exemplarischer Begrünung. Aber auch der Übergang zum umliegenden Park war von hoher Bedeutung. Wenn der Grundriss des Gebäudes in dieser Skizze noch anders aussieht und der Eingang des Gebäudes noch weiter östlich hin zur Münsterstraße liegt – in der endgültigen Ausführung legten die Architekten den Hauteingang zur südlichen Fassade –, kann man doch bereits erkennen, dass die Idee, den Wanderweg durch ein offenes Untergeschoss zu führen, schon zu diesem Zeitpunkt bestand. Die Verzahnung des Gebäudes mit seiner Umgebung war also von Beginn an ein wichtiges Merkmal der Planung.

Iguanodon im Lichthof

Im Inneren lässt die zurückhaltende materielle Gestaltung der Räume den Exponaten Raum, die Blicke der Besuchenden einzufangen. Besonderer Blickfang waren seit der Eröffnung die lebensgroßen Nachbildungen zweier Saurier, die der italienische Tierbildhauer Pietro Rabacchi vor Ort gefertigt hatte. Für die Neueröffnung des Naturmuseums 2020 musste der kleinere Saurier weichen, da er nicht mehr in die Neukonzeption des Museums passte, bei der eine Konzentration auf regionale Flora und Fauna vorgenommen wurde. Doch der große aufrechtstehende Iguanodon hat den gesamten Umbau unter einer Plane verbracht und darf weiterhin im Lichthof verbleiben, lebte er doch nachweislich in der Region. Auch das Architektenpaar Gastreich-Moritz und Gastreich musste sich bei der Planung des Museums bereits mit diesem Exponat befassen, wie einige Skizzen aus dem Baukunstarchiv belegen. Die Zeichnungen zeigen eindrücklich, welche besonderen Aufgaben und Herausforderungen mit der Planung eines Museumsbaus (#Über die Architektur von Kunstmuseen; #Weiterbauen) zusammenhängen.

Aquarium

Die Architekten mussten Lösungen für die Ausstellung einer Vielzahl von heterogenen Exponaten finden – eben unter anderem für die Standfestigkeit eines über fünf Meter hohen Sauriermodells. Auch ein weiterer Publikumsmagnet des Museums wurde von Gastreich-Moritz und Gastreich geplant: das Aquarium. Zur Bauzeit handelte es sich um ein tropisches Süßwasser-Aquarium mit 73.000 Liter Volumen. Das achteckige Becken mit einer Höhe von 3 Metern und einem Durchmesser von 6 Metern war zu diesem Zeitpunkt eines der größten Becken dieser Art in der Bundesrepublik. Die Form passte sich in die Kompositionselemente des Grundrisses ein, während die Säule in der Mitte des Beckens alle Versorgungszugänge so verbarg, dass der Anschein eines natürlichen Umfeldes erweckt werden konnte. Das Aquarium wurde seither zu einem 90.000 Liter fassenden Rundbecken umgestaltet, da es nach mehr als dreißig Jahren begann undicht zu werden. Gemäß dem neuen Ausstellungskonzept beheimatet es heute Fische aus dem nahen Möhnesee.

Wichtiger Ankerpunkt

Nach nur dreieinhalbjähriger Bauzeit konnte das Museum am 24. Mai 1980 der Öffentlichkeit übergeben werden. Die Eröffnungsveranstaltung erstreckte sich über sechs Tage und bot ein breit gefächertes Angebot für alle Altersstufen und Interessengebiete. Da das Museum nicht allein ein Fachpublikum ansprechen, sondern ein Freizeitzentrum für alle Anwohnenden bereitstellen sollte, war dies ein gelungener Auftakt. Neben 10.000 Bürgerinnen und Bürgern sowie dem Oberbürgermeister war zu diesem Anlass auch der Naturfilmer Heinz Sielmann anwesend. Sielmann zeigte sich begeistert: »Ich kenne kein Museum auf dieser Erde, bei dem der Bürger, der junge Mensch, in kurzer Zeit so viel profitieren kann wie hier.[…] Dazu kann man alle Verantwortlichen und alle Dortmunder nur beglückwünschen.« Bis heute ist das Naturmuseum ein wichtiger Ankerpunkt in dem weit über das Stadtgebiet verteilten Netzwerk aus kulturellen Angeboten und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Seit der erneuten Eröffnung im Jahr 2020 – auf Grund der Corona-Krise leider dieses Mal ohne eine große Feier – strahlt das Juwel des Nordens nun in einem neuen Glanz.

Der vorliegende Text wurde zuerst publiziert in: Hans-Jürgen Lechtreck, Wolfgang Sonne, Barbara Welzel (Hg.): »Und so etwas steht in Gelsenkirchen…«, Kultur@Stadt_Bauten_Ruhr, Dortmund 2020, S. 150–163.