Stadtbaustein in der Campus-Landschaft

Wolfgang Sonne

Ein Schaufenster zur Straße, eine Fassade zum öffentlichen Raum, ein Haus, das Flagge zeigt: Um die Radikalität des IBZ, des Internationalen Begegnungszentrums der TU  Dortmund, von Christoph Mäckler zu erklären, muss man ganz weit ausholen. Unsere heutigen Universitäten sind eine Errungenschaft des europäischen Mittelalters, genauer: der mittelalterlichen Städte und ihrer Stadtgesellschaften. Nach Jahrhunderten des klösterlichen Exils – oft programmatisch abgeschieden in der Einsamkeit des Landes gelegen – kehrte das Wissen ab dem 12. Jahrhundert Stück für Stück in die Mitte des Lebens der sich ausbildenden Städte zurück, in denen es einst in der Antike beheimatet war. Die Universitätsbauten von Bologna, Paris oder Oxford lagen und liegen noch heute mitten in der Stadt und geben ihren Quartieren ein eigenes Gepräge. Diese enge Verbindung von Stadt und Universität blieb europaweit lange das vorherrschende Modell und führte zum Phänomen der Universitätsstädte mit ihren in das Stadtgewebe eingebundenen Universitätsbauten.

Campus-Universitäten

Als Gegenmodell entstand im 18. Jahrhundert in Amerika die Idee der Campus-Universität, paradigmatisch realisiert in der University of Virginia von Thomas Jefferson: ein eigenes universitäres Gelände, abgeschieden vom Trubel und den Gefahren der Stadt, ländlich gelegen und deswegen »campus«, also »Feld«, genannt; eine Rückkehr des Klostermodells im Zeitalter der Aufklärung. In den USA ohne eine entsprechende städtische kulturelle Tradition fand dieses Modell schnell große Verbreitung. In Europa dagegen spielte es bis ins 20. Jahrhundert keine Rolle, denn Universitäten waren in einem städtischen Kontext vorhanden.

Getrennt von der Stadt

Erst im Rahmen der funktionalistischen Stadtplanung mit ihrem Ideal der Nutzungstrennung fiel das Campus-Modell auch in Europa auf fruchtbaren Boden. Bereits die Nationalsozialisten träumten von einer monofunktionalen Universitätsstadt im Westen von Berlin – abgetrennt vom vielfältigen und potentiell beunruhigenden und unkontrollierbaren Leben der Großstadt. Im Zuge der autogerechten Stadt der 1960er Jahre wurden dann von Autobahnen erschlossene, abseits der Städte gelegene Campusuniversitäten Wirklichkeit: Bochum (#Ruhr-Universität Wettbewerbsbeitrag) und Bielefeld sind die markantesten Universitätsmaschinen, die unberührt von den Anfechtungen städtischer Zumutungen auf dem freien Feld errichtet werden – und auch Dortmund gehört dazu.

Paradigmatisch zeigt der Dortmunder Campus die Eigenschaften einer solchen Planung: getrennt von der Stadt gelegen und nicht fußläufig, sondern nur mit Auto oder Bahn erreichbar; ausschließlich universitäre Nutzungen, keine Funktionsvielfalt wie in der Stadt; Trennung von Auto- und Fußgängererschließung und damit Verlust einer Eingangsseite der Gebäude zum Straßenraum; im Gelände freistehende Baukörper und damit keine Ausbildung eines öffentlichen Raums. Mit all diesen Defiziten ist städtebaulich geradezu vorprogrammiert, dass Dortmund keine Universitätsstadt werden kann.

Vom Campus zur Stadt

Das IBZ nun ist in allem davon das Gegenteil: Es steht direkt an der Straße, es bildet eine Fassade zu dieser Straße, damit gestaltet es wiederum den öffentlichen Raum. Mit diesem öffentlichen Raum tritt es in urban angemessener Weise in Kommunikation: Ein Schaufenster erlaubt Einblicke in das vielfältig-öffentliche Geschehen in seinem Inneren; zugleich erlaubt dieses Schaufenster – hinter der Bühne des Veranstaltungssaals angeordnet – Ausblicke aus dem Haus in den Straßenraum. Mit diesem Bühnenausblick in die Stadt erinnert das IBZ an die berühmten Renaissance-Bühnenbilder eines Serlio oder Palladio, bei denen der Bühnenprospekt als perspektivisch verjüngter Stadtraum gestaltet ist. Von solch bedeutungsreicher Schönheit ist der Ausblick in Dortmund zwar noch etwas entfernt, doch vermag vielleicht das nun geschaffene Fenster das Anspruchsniveau der Gestaltung der Emil-Figge-Straße etwas anzuheben.

Technologiepark Dortmund als Stadtbaustein

So konträr das IBZ zu den Baustrukturen (#TU Dortmund, EF 50) des Campus der TU  Dortmund steht, so sehr ist es doch eingebettet in eine umfassendere Strategie zur Europäisierung, Urbanisierung, ja, man kann sagen: Zivilisierung des Campus-Geländes. Die Abkehr vom Ideal der autogerechten Stadt mit seiner Trennung von Auto- und Fußgängerverkehr, wie sie den Campus prägt, fiel mit der Anlage des Technologieparks direkt westlich der TU  Dortmund. Aus einem Wettbewerb der Stadt Dortmund 1986, an dem unter anderem der Architekt Oswald Mathias Ungers teilnahm und von dem drei Wettbewerbsmodelle im Baukunstarchiv NRW aufbewahrt werden, ging ein Entwurf hervor, der ein klassisches rasterförmiges Straßennetz mit Alleebäumen und mit Bauten am Blockrand vorsah. Mehr noch: Der Plan verlangte eine einheitliche Positionierung dieser Gewerbebauten hinter einem Vorgarten, eine einheitliche Höhe sowie eine einheitliche Gestaltung in rotem Backstein.

Es waren gerade diese strengen städtebaulichen und architektonischen Vorgaben, die den Erfolg dieses Technologieparks beförderten. Entgegen der landläufigen Meinung, dass nur ein größtmögliches gestalterisches laissez-faire der Wirtschaft entgegenkäme, bewies sich hier, dass die Sicherheit zu wissen, in welchem Kontext der eigene Bau in Zukunft stehen würde, die Investitionen der einzelnen Unternehmen eher unterstützte als behinderte. Trotz diesem sichtbaren Erfolg mit dem vielleicht schönsten Gewerbegebiet Deutschlands erscheint den meisten Kommunalpolitikern heute noch immer die Vorstellung von Gestaltungsregeln für Gewerbeparks als undenkbar.

Städtebauliche Gestaltungsprinzipien

Diese Hinwendung zu den Regeln eines klassischen Städtebaus mit Straßennetz, Blockrandbebauung und der Bildung von öffentlichem Raum durch Straßenfassaden im Dortmunder Technologiepark hatte wiederum keineswegs im luftleeren Raum stattgefunden. Mit weltweiter Wirkung war sie durch die ab 1978 geplante Internationale Bauausstellung (IBA) Berlin 1987 vorangetrieben worden, deren Protagonisten zugleich eng mit der Dortmunder Planung verbunden waren. Ungers, dessen Wettbewerbsbeitrag prägend für den Ausführungsplan des Dortmunder Technologieparks wurde, war zunächst als einer der Direktoren der Berliner IBA vorgesehen. Kleihues wiederum erhielt diese Position und prägte mit seiner Strategie der »Kritischen Rekonstruktion« die urbane Philosophie der IBA Berlin. Die Ideen hierzu hatte er bereits als Professor an der TU  Dortmund seit 1974 entwickelt – nicht zuletzt bei den Dortmunder Architekturtagen im Museum am Ostwall, dem heutigen Baukunstarchiv NRW, zu denen er namhafte internationale Architekten eingeladen und mit ihnen grundlegende Gestaltungsprinzipien von Architektur und Städtebau diskutiert hatte. Geradezu folgerichtig erscheint es, dass aus dieser Dortmund-Berliner Koproduktion auch ein Gebäude von Kleihues, dessen Nachlass sich ebenfalls im Baukunstarchiv NRW befindet, im Dortmunder Technologiepark hervorging.

Fassaden statt Rückseiten

Der Bau des Technologiezentrums (1988–1992) zeigt paradigmatisch mit seinen straßenraumbildenden Fassaden in Backstein und seiner adressbildenden Säulenordnung in Stahl die neue Ausrichtung an klassischen Städtebauprinzipien mit lokalem Kolorit. Diesen »urban spirit« nahm wiederum der Masterplan für die Campusentwicklung der TU  Dortmund auf, den Christoph Mäckler im Auftrag der Universitätsleitung 2004 an seinem Dortmunder Städtebaulehrstuhl erarbeitete. Festigung der Raumkanten an der zentralen Fußgängeresplanade, vor allem aber Schaffung von stadtraumbildenden Bebauungen an den umliegenden Straßen waren der revolutionäre Schritt dieses Plans, der den Campus gleichsam vom Kopf der autogerechten Planung auf die Füße des kompakten Städtebaus stellte. Auch die Gestaltung des angrenzenden Technologieparks nahm er zum Vorbild und empfahl für die Errichtung von Neubauten die Verwendung von rotem Backstein oder rotem Putz an den Fassaden. Seitdem wurde der Plan mehrfach von ihm überarbeitet und weiterentwickelt. So fiel etwa die schwungvolle Randbebauung der verkehrsgerecht geschwungenen Universitätsstraße fort, weil diese mittlerweile selbst – als stadtumgehende Tangentialstraße entworfen – aufgegeben wurde.

Internationales Begegnungszentrum

In diesen Plan nun fügt sich das IBZ markant und beispielhaft als urbaner Stadtbaustein ein. Als ein Geschenk der Gesellschaft der Freunde der TU  Dortmund zum 40-jährigen Jubiläum der Universität wurde es 2008 bis 2009 errichtet. Die Ausarbeitung und Ausführung besorgten Martin Cors und Imke Woelk mit ihrem Architekturbüro in Berlin. Von Christoph Mäckler stammte die Entwurfsidee. Wunderbar zeigen seine Skizzen, dass es ihm bei diesem Entwurf eines Hauses, das die Welt an der TU  Dortmund willkommen heißen sollte, nicht nur um eine funktional und konstruktiv zu lösende Bauaufgabe ging, ja, dass auch die Formung des Straßenraums nicht allein eine ästhetische Aufgabe war, sondern dass es auch um die Findung von signifikanten Formen ging: Das kleine Haus sollte zeigen können, dass es dem internationalen Austausch diente. Ausdruck der Internationalität ist eine Serie von Fahnen, die die Fassade zur Straße hin bekrönt.

Geste der Einladung

Nicht sprachliche Mittel, sondern ein architektonisch-gestalterisches Mittel, das durch die häufige Verwendung von Fahnenreihen bei internationalen Institutionen geläufig war, sollte die Botschaft verkünden. Die Geste der Einladung und zugleich die Geste der Öffnung wurden durch ein riesiges Schaufenster geleistet, das in seiner die praktische Funktion weit überragenden Größe seinen Symbolcharakter unmittelbar offenbart. Schon die zur Anbringung des Fensters notwendige, das eigentliche Gebäude überragende turmartige Überhöhung des Baukörpers zur Straße hin zeigt an, dass es nicht allein um die Belichtung eines Raumes, sondern auch um das Zeigen eines Fensters geht: eines Fensters des Hauses zur Straße, eines Fensters der Universität zur Welt.

Haus als Baustein

Dass dieses Haus, das so gänzlich aus seiner Fassade, seiner flächigen Begrenzung der Straßenwand entworfen scheint, zugleich auch ein schlüssiger Baukörper mit einer skulpturalen Form geworden ist, zeigen die an der Modellbauwerkstatt der TU  Dortmund gefertigten Modelle. Das eine präsentiert das Haus als einen Baukörper, der wie der Baustein aus einem Baukasten vielfältig einsetzbar ist. Das andere macht aus dem Haus ein kleines Designobjekt, einen Einrichtungsgegenstand des alltäglichen Bürolebens. Das verkleinerte IBZ wird zum Halter von Visitenkarten, in dem der Architekt in seinem Büro mannigfaltige internationale Kontakte aufbewahren kann. Das kleine Haus mit seinem roten Kammputz, der die Farbigkeit des Technologieparks aufnimmt, und seiner massiven Ziegelkonstruktion, die ökologisch nachhaltig ist, erhielt 2010 prompt eine Auszeichnung des BDA Dortmund-Hamm-Unna für gute Bauten.

Lebendiges Stadtquartier

Es ist ein gebautes Vorbild für die weitere Entwicklung und Gestaltung des Campus der TU  Dortmund: weg von der autogerechten Verkehrsplanung hin zum verkehrskombinierenden Städtebau; weg von gestaltlosen Resträumen hin zu gestalteten Straßenräumen; weg von gesichtslosen Gebäudehüllen hin zu signifikanten Hausfassaden. Denkt man dieses urbane Konzept weiter mit Funktionsmischung, einem stadtverbindenden Straßennetz und vielleicht gar eines Tages einem architektonisch markanten Auftritt der TU  Dortmund als Stadteingang an der zu einer Stadtallee rückgebauten A40, dann könnte aus dem monofunktionalen Campus der TU  Dortmund eines Tages ein lebendiges Stadtquartier werden – die Universitätsstadt Dortmund.

Der vorliegende Text wurde zuerst publiziert in: Hans-Jürgen Lechtreck, Wolfgang Sonne, Barbara Welzel (Hg.): Bildung@Stadt_Bauten_Ruhr, Dortmund 2022, S. 184–199.

Literaturauswahl zum Text

Alexandra Apfelbaum/Silke Haps/Wolfgang Sonne (Hg.), JPK NRW. Der Architekt Josef Paul Kleihues in Nordrhein-Westfalen, Dortmund 2019.

Harald Bodenschatz/Vittorio Magnago Lampugnani/Wolfgang Sonne (Hg.), 25 Jahre Internationale Bauausstellung Berlin 1987. Ein Wendepunkt des europäischen Städtebaus, Bücher zur Stadtbaukunst, Bd. 3, Sulgen 2012.

Christoph Mäckler/Wolfgang Sonne (Hg.), Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt 8. Vorne – Hinten. Wie wird aus Wohnhäusern Stadt?, Berlin 2018.

Dieter Nellen/Wolfgang Sonne/Ludger Wilde (Hg.), Dortmund bauen. Masterplan für eine Stadt. Strategien und Perspektiven der Dortmunder Stadtentwicklungspolitik in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts, Berlin 2018.