Universität als Kontinuum
Wettbewerbsbeitrag Ruhr-Universität Bochum von Eckhard Schulze-Fielitz

Christin Ruppio

Als Eckhard Schulze-Fielitz 1962 auf der Deutschen Bauausstellung (Deubau) in Essen einem breiteren Publikum sein Raumstadt-Konzept anhand eines Pavillons aus MERO-Stabsystem vorstellte, häuften sich in den Berichterstattungen – so lässt sich in einigen vom Architekten selbst archivierten Zeitungsbeiträgen nachvollziehen – Begriffe wie »utopisch«, aber auch »bizarr«. Dies zeigt, wie gänzlich ungewöhnlich und neu seine Idee einer unendlich erweiterbaren Architektur erschien, wenngleich sie auch vorangegangene Konzepte, unter anderem von Buckminster Fuller und Yona Friedmann, aufnahm. Im Baukunstarchiv lässt sich in dicken Ordnern mit archivierten Zeitungsartikeln, Leserbriefen und Antworten auf diese ablesen, dass Schulze-Fielitz einen Nerv traf und sich rege an den Diskursen seiner Zeit beteiligte.

Zukunftsweisend für den Ballungsraum

Zwei Jahre später wurde seine Jakobuskirche (1962/1963, Zerstörung durch Brandstiftung 1980) in Düsseldorf, die ebenfalls mit dem MERO-System errichtet wurde, mit dem Deubau-Preis für »Das Bauen der Zukunft« ausgezeichnet. Berichte aus dieser Zeit verwiesen nun immer wieder auf die Jakobuskirche als Beweis der Machbarkeit von Schulze-Fielitz’ Visionen. Selbst die BILD-Zeitung interviewte den jungen Architekten für einen Beitrag zum Thema »Ist das Ruhrgebiet noch zu retten?« und wies seine Ideen für die Überwindung von Höhenunterschieden und Dichte in der Vertikalen als zukunftsweisend für den Ballungsraum an der Ruhr aus.

Bereits 1959 hatte Schulze-Fielitz erste Überlegungen zum Bauen mit vorgefertigten Tragwerkstrukturen im Wettbewerb um das Essener Musiktheater (#Aalto-Musiktheater) eingereicht, wo dies zumindest mit einem Ankauf honoriert wurde. 1962 nahm er dann erneut an einem für das Ruhrgebiet maßgeblichen Ideenwettbewerb teil.

Gesetze der Serie

Mit der Ruhr-Universität Bochum sollte die erste Universität im Ruhrgebiet und die vierte Landesuniversität entstehen. Im Mittelpunkt der Überlegungen zu dieser neuen Universität stand der Anspruch, einer großen Menge von Studierenden Zugang zu akademischer Bildung zu ermöglichen und diese »Massenuniversität« außerhalb der Stadt auf der grünen Wiese zu errichten. Die Ausschreibung sah explizit vor, dass »die Gesetze der Serie und die Anwendung industrieller Baumethoden« Berücksichtigung finden sollten, was Schulze-Fielitz zu einem idealen Teilnehmer machte. Die bereits bei dem Deubau-Pavillon und der Jakobuskirche erprobten Stahlrohr-Elemente, die an Verbindungsköpfe mit zwölf Anschlussstellen geschraubt werden können, sollten hier nun in einer Großstruktur Anwendung finden.

Verflechtung

Die Erläuterung seines Beitrags beginnt Schulze-Fielitz mit dem Satz: »Die Universität ist im großen und ganzen ein Kontinuum.« Diese Sicht von Architektur und Städteplanung wendet sich letztlich gegen die klare Funktionstrennung und erlaubt das Verschwimmen und Durchdringen. Auch hier scheint Schulze-Fielitz’ Ansatz nah an die detaillierten Vorgaben der Ausschreibung heranzureichen, in der mehrfach auf die Bedeutung von »Verflechtung« als Merkmal der Universität als Lebens- und Wissensraums hingewiesen wurde. Gleichzeitig geht Schulze-Fielitz mit seinem Entwurf aber so weit, die durch die traditionelle Organisation der Universität vorgegebenen Funktionstrennungen, zum Beispiel in Fakultäten, aufzulösen – was sicher einer der Gründe war, warum der Entwurf nicht platziert wurde.

Neutralstruktur

Ein Blick auf Fotografien des Wettbewerbsmodells von Schulze-Fielitz stellt zunächst vor allem die hohe Verdichtung heraus, die der Architekt durch horizontale Schichtung innerhalb einer Tragwerkstruktur erreichen wollte. Schulze-Fielitz’ Überzeugung war: »Große Verdichtung an der einen Stelle erlaubt größere Öffnung an der anderen.« Erst Detailaufnahmen von Modellen zeigen, wie die variable Füllung der vorgefertigten Raumtragwerke eine durchlässige und anpassbare Struktur ergibt, die der Idee der »Verflechtung« Rechnung trägt.

Schulze-Fielitz sprach von einer »Neutralstruktur«, die sich immer wieder adaptieren lasse, was eine Anpassung an die sich stetig wandelnden Bildungsansprüche und Lehrkonzepte ermöglichen sollte. Die Tragwerke dieser »Neutralstruktur« dienen dabei einerseits zum Abführen der Lasten, andererseits beherbergen sie alle Versorgungsleitungen für Strom und Wasser.

Naturschutz

Durch die ideale Verteilung der Last sollte das Tragwerksystem große Flächen überspannen können, was für das in der Dimension ausufernde und landschaftlich bewegte Planungsareal der zukünftigen Universität von großer Bedeutung war. Gleichzeitig schuf die Aufständerung unter dem Tragwerk Raum für großzügige Verkehrsführung. Die Universität sollte also von unten nach oben erschlossen werden, Anreise und Parken erfolgen auf der unteren Ebene, bevor man sich zum Kontinuum hinaufbewegt. Schulze-Fielitz beschreibt allerdings, dass ebenfalls dem »bewegten Gelände« Rechnung zu tragen und daher an einigen Stellen auch eine waagerechte oder diagonale Erschließung denkbar sei. Gelände und umgebende Natur waren weitere ausschlaggebende Faktoren in Schulze-Fielitz’ Argumentation für Verdichtung in der Horizontale. Denn diese Konzentration aller für die Universität wichtigen Elemente auf einer geringen Fläche war für den Architekten auch eine Frage des Naturschutzes. Ein Aspekt, der Schulze-Fielitz’ Architekturvisionen umso relevanter auch für die heutige Zeit macht.

Schichtung der Ebenen

Es blieb nicht die letzte Beteiligung von Schulze-Fielitz an einem Wettbewerb für einen Universitätsbau. 1967 nahm er am Wettbewerb um die Universität Bremen teil, zeigte sich im Anschluss jedoch zunehmend desillusioniert von den nach seiner Ansicht schlecht nachvollziehbaren Entscheidungen in solchen Prozessen. Bei seiner nächsten Beteiligung an einem Universitäts-Wettbewerb in Bielefeld ging Schulze-Fielitz daher nur noch in beratender Funktion mit Erwin Heinle und Robert Wischler ins Rennen. Die von Schulze-Fielitz stammende Zeichnung auf dem Cover des Erläuterungsberichtes zeigt, dass er seine radikale Umsetzung des Kontinuums für diese Zusammenarbeit zurückstellte, dennoch blieben Ideen wie die Schichtung in Ebenen für Verkehr und andere Nutzungen erhalten. In einem Vortrag fasste Schulze-Fielitz die Atmosphäre der 1960er Jahre zusammen: »Die Utopien stehen vor der Tür.« Die nur kurz nach der Ruhr-Universität Bochum erfolgte Gründung der Universität Dortmund (1968) bestätigt, wie sehr dieser Ausspruch für die Bildungslandschaft im Ruhrgebiet galt.

Der vorliegende Text wurde zuerst publiziert in: Hans-Jürgen Lechtreck, Wolfgang Sonne, Barbara Welzel (Hg.): Bildung@Stadt_Bauten_Ruhr, Dortmund 2022, S. 232–243.