Ein halbes Jahrhundert später. EF 50: Place in Transition

Barbara Welzel

Es waren vor allem die Metropolen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gerade auch mit ihren neuartigen Orten und Bauten, die neue theoretische Beschreibungen von Räumen und Orten provozierten. Den Städten, die historische Bauten, Denkmale und Straßenzüge in ihre moderne Gegenwart integrierten, kontrastierten Erfahrungen an Flughäfen oder in Bahnhofshallen, Transiträumen, in Hotels großer Ketten etc., die andersartige Räume bildeten und nach neuartigen Beschreibungen verlangten. Und wer kennt sie nicht: die immer gleichen Plastiknoppen der Bodenbeläge, die Flure und endlosen Gänge auf Flughäfen, deren Leitsysteme, egal auf welchem Kontinent zum Gate, zur Gepäckausgabe, zum Exit führen, Wartehallen etc. Aber auch Autobahnen, Autobahnkreuze, die Auf- und Abfahrten, U- und S-Bahnhöfe, unterirdische Bahnsteige etc.

Nicht-Orte

Marc Augé hat 1992 für diese Räume den mittlerweile klassisch gewordenen Begriff der Nicht-Orte geprägt, der Non-Lieux, wie es im französischen Original heißt, oder der Non-Places im Englischen. »So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, so definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen läßt, einen Nicht-Ort.« In der Alltagswahrnehmung werden oft auch Großbauten, zumal wenn sie ein Material wie Beton sichtbar präsentieren, als Nicht-Orte empfunden und bewertet. Beschrieben werden Orte, die viele Menschen frequentieren, ohne dass diese eine persönliche Beziehung eingehen.

Immer von Neuem entstehen solche Nicht-Orte auch in Zwischenräumen, in Durchgängen, an Rückseiten. Doch haben die Zeitläufe häufig die Orte verändert: Durch neue Straßen, neue Wegeachsen, veränderte Mobilität, bauliche Verdichtung rücken Orte in den Blick und in die verstärkte Nutzung, die zuvor am Rand, auf der Rückseite, neben den Routen gelegen hatten. Und schließlich sind diese Orte inzwischen selbst historisch geworden, Teil der Geschichte – im Ruhrgebiet oft zugleich Teil der Neufiguration der Städte nach dem Zweiten Weltkrieg und des Strukturwandels. Sie sind Schauplätze von Erinnerungen geworden – und damit eben auch in persönliche Beziehungen verwoben. In diesen ambivalenten Koordinaten finden zahlreiche Debatten über die Großbauten etwa unter den Bildungsbauten, oft sogar über die Nachkriegsmoderne insgesamt, statt.

Campus-Ensemble

Als das Hochschulgebäude an der Emil-Figge-Straße 50 in Dortmund gebaut wurde, entstand es auf der sprichwörtlichen grünen Wiese. Die Hochschule lag außerhalb des Stadtzentrums, aber auch außerhalb bestehender Ortskerne, war von Feldern umgeben. Mit einer repräsentativen Eingangshalle und einem Vorplatz war schließlich eine Empfangssituation nach Süden geschaffen worden, die sich zur S-Bahn hin ausrichtet. Hier ist Stück für Stück ein Campus-Ensemble mit der Universitätsbibliothek, der benachbarten Fachhochschule, der Brücke zur Mensa, der Mensa, dem H-Bahnhof und weiteren Gebäuden gestaltet worden, ein Ort mit bestimmbaren Funktionen und Begegnungsräumen, mit Identität und Relationen.

Wer mit dem Auto kommen wollte, kam den Berg hinauf, vorbei an der Margarethenkapelle in Barop, eine der vielen mittelalterlichen Kirchen in Dörfern auf Dortmunder Stadtgebiet, durch Felder, die je nach Jahreszeit die Farben des Weges bestimmten: das Braun der gepflügten Felder im Winter, das von Mohn und Kornblumen durchbrochene Grün des Getreides oder das laute Gelb von Raps. Das Gebäude zeigte sich von Norden als eine unörtliche Rückseite. Es wendet sich von der Straße ab, die lediglich als Verkehrsweg der autogerechten Stadt, nicht aber als öffentlicher und urbaner Raum verstanden ist. Die auskragenden Hörsäle bilden keine architektonische Schauseite aus, Zuwege dienen vor allem der Versorgung; die Türen führen von hinten auf Flure, in Treppenhäuser, sind aber nicht als Eingänge mit Verbindung zur Eingangshalle konzipiert.

Zweite Zugangsseite

Inzwischen sind längst weitere Gebäude an diesem Straßenabschnitt hinzugekommen, die Bauten der Fachhochschule und neuerdings das HGÜ-Testzentrum. Auch das Technologiezentrum Dortmund sowie das Internationale Begegnungszentrum der Technischen Universität Dortmund (#IBZ der TU  Dortmund) liegen an der Emil-Figge-Straße. Seit wenigen Jahren (seit 2009) existiert eine eigene Autobahnabfahrt »Dortmund-Barop«, die die Emil-Figge-Straße zu einem zentralen Zuweg für die Technische Universität Dortmund gemacht hat. Lange schon liegen dem Gebäude auf der anderen Straßenseite große Parkplätze gegenüber. Aus der nördlichen Rückseite eines nach Süden hin ausgerichteten Gebäudes ist faktisch eine zweite Zugangsseite geworden.

Langsam nun beginnt der Ort auf diese veränderte Situation zu antworten. Die Hinweisschilder sind neu ausgerichtet, 2018 wurde mit dem Schriftzug »tu | 50« nicht nur die Wortmarke des Universitätsjubiläums am Gebäude angebracht, sondern Name und Hausnummer der Institution begrüßen nun auch diejenigen, die sich über die zunehmend wichtig gewordenen Wegeachsen im Norden nähern.

MURAL EF50

Die Außenwände der großen Hörsäle, die vom Foyer des Gebäudes mit Vorhalle nach den Regeln architektonischer Kunst erschlossen sind, strahlten mit den vorgelagerten Grünstreifen am Fußweg unter der H-Bahn allerdings weiterhin die Wirkung eines Nicht-Ortes aus. Das Jubiläumsjahr 2018 bot die willkommene Gelegenheit, diese Wände in den Blick zu nehmen und durch ein Wandmalereiprojekt zu transformieren. Unter der künstlerischen Leitung von Tillmann Damrau schufen Steffen Mischke, Florian Moritz, Katja Mudraya und Ulvis Müller das Wandbild MURAL EF50. Nicht leicht war die vielteilige Wandfläche, für die sich auch kein Betrachter:innenstandpunkt ausmachen lässt, gestalterisch zu bewältigen. Ergebnis ist eine sequentielle Bildfolge, die sich insgesamt in Bewegung – also nicht von einer Reihe wechselnder, gleichwohl fixierter Standpunkte aus – erschließt. Als nachgerade kongeniales Foto erweist sich daher eine Aufnahme, die dieses Werk mit der vorbeifahrenden H-Bahn zusammensieht.

Verstärkt wird durch MURAL EF50 die Mehrdeutigkeit des Ortes; deutlich wird, dass es neben dem Haupteingang auch andere Zugänge in die Technische Universität Dortmund gibt, die ihrerseits nun auf eine urbane Erschließung warten: Zu finden sind auf dem Campus nicht nur Orte, Lieux, und Nicht-Orte, Non-Places, sondern gerade auch Places in Transition.

Der vorliegende Text wurde zuerst publiziert in: Hans-Jürgen Lechtreck, Wolfgang Sonne, Barbara Welzel (Hg.): Bildung@Stadt_Bauten_Ruhr, Dortmund 2022, S. 200–213.