Suche nach neuem Ausdruck

Sonja Pizonka

In den Jahren 1919 und 1920 erwarb die Katholische Pfarrgemeinde St. Josef mehrere Grundstücke zwischen Bochumer Straße, Bergmannstraße und Scharnhorststraße (heute Heidelberger Straße). Sie sollten als Bauland für ein neues Kirchengebäude im Gelsenkirchener Stadtteil Ückendorf dienen. Die Bevölkerung der bis 1903 selbstständigen Gemeinde Ückendorf war nach Abteufung der Zechen Holland, Rheinelbe und Alma sehr schnell gewachsen, und in nur wenigen Jahren war auf dem einstigen Ackerland ein dicht besiedeltes Quartier mit Bergmannssiedlungen und mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftshäusern entstanden. Insbesondere die Bochumer Straße, die das Gelsenkirchener Zentrum mit der damals noch eigenständigen Stadt Wattenscheid verband, hatte sich zu einer lebhaften, auf beiden Seiten eng bebauten Verkehrsader durch den Stadtteil entwickelt, auf der nicht nur die Straßenbahn fuhr, sondern auch Geschäfte und Gaststätten Tag und Nacht für Betriebsamkeit sorgten.

Eine schmale Baulücke

Der Architekt Josef Franke (1876–1944), der bis 1908 selbst in Ückendorf gewohnt hatte, erhielt von der Gemeinde den Auftrag, ein Kirchengebäude innerhalb dieser dichten Bebauung (#Profane städtebauliche Planung) zu entwerfen. Im Baukunstarchiv NRW ist ein Plan überliefert, bei dem Franke das Kirchenportal zur Ecksituation zwischen Bergmannstraße und der Scharnhorststraße ausrichtete. Das freie Gelände vor dem Gotteshaus ist in diesem Entwurf als baumbestandener Vorplatz angelegt. Doch die finale Fassung sollte anders aussehen, das Portal wurde zur Bochumer Straße ausgerichtet. An dieser Stelle gab es allerdings nur eine verhältnismäßig schmale Baulücke zwischen den bereits bestehenden Häusern. Franke hatte jedoch bereits 1912 bei der Planung der Kirche St. Michael in der Dortmunder Nordstadt mit einer ähnlichen städtebaulichen Situation gearbeitet. Er hatte das Sakralgebäude auf das Gelände hinter der bestehenden Häuserzeile gerückt, sodass sich aus dieser Fläche ein Kirchplatz ergab, der wiederum durch zwei gleichförmige, in die Häuserzeile eingefügte Nebengebäude links und rechts gefasst wurde. Eine ähnliche Gestaltung verfolgte Franke auch bei der Heilig-Kreuz-Kirche.

Beeindruckt von dieser Planung

Verschiedene Entwürfe zeigen, wie der Architekt Kirchenfassade und Nebengebäude in Beziehung setzen wollte. Keine dieser Varianten zeigt das charakteristische Kreuz mit triumphierendem Christus aus Backstein (Entwurf Hans Meier), das letztendlich das Eingangsportal bekrönen sollte. Heinz Dohmen, von 1976 bis 1999 Diözesanbaumeister des Bistums Essen, zeigte sich beeindruckt von dieser Planung: »Frankes Bau zeugt von der Suche nach neuem Ausdruck im Sakralbau, der alle historisierenden Formen hinter sich läßt. Dazu bedient er sich einfachster Mittel: Ein Rücksprung gegenüber der geschlossenen Häuserfront schafft Distanz und Aufmerksamkeit – besser als ein hochaufragender Turm, den der Passant aus seiner Perspektive nicht erfassen könnte.« Da sich die Gemeinde durch den Kirchenbau verschuldet hatte, sollte es allerdings Jahrzehnte dauern, bis auch das westliche Nebengebäude an der Bochumer Straße fertiggestellt werden konnte (ab 1956). Es wurde schließlich in der Formensprache der 1950er realisiert, sodass Frankes Ursprungsplanung nicht vollendet wurde.

Eintrag in die Denkmalliste

Die Parabelform, die das Eingangsportal bestimmt, ist auch wesentliches Gestaltungselement des Kirchenraums. Die ursprüngliche Ausmalung durch Andreas Ballin, die auf einer historischen Postkarte zu sehen ist, wurde 1966 zunächst nach Entwürfen von Gerhard Kadow mit helleren Farbtönen übermalt, »um so der Kirche ihren etwas düsteren Charakter zu nehmen«. Zudem wurde der Altarraum gemäß der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil neu gestaltet, sodass die Messe zur Gemeinde gewandt gefeiert werden konnte. 1986 erfolgte der Eintrag der Kirche in die Denkmalliste der Stadt Gelsenkirchen, die neben dem Gebäude auch das Inventar als besonders schutzwürdig erachtete.

Ballins Gestaltung wurde schließlich im Zuge einer erneuten Renovierung (Farbgestaltung: Christel Darmstadt) ab 1993 teilweise wieder freigelegt, rekonstruiert und ergänzt. Rund 30 Jahre später, 2007, fand die letzte Messe statt; aufgrund sinkender Zahlen der Gemeindemitglieder wurde die Heilig-Kreuz-Kirche außer Dienst gestellt.

Der kulturelle Quartiersmittelpunkt

Zwar gab es schon früh Ideen zur Umnutzung und auch erfolgreiche temporäre Zwischennutzungen, der Umbau zu einem Veranstaltungsgebäude kam jedoch zunächst nicht in Betracht. Erst im Rahmen diverser Programme zur Erneuerung des Stadtteils konkretisierten sich die Umnutzungspläne, die schließlich zu Sanierung und Umbau des Kirchengebäudes führten. Dem Zusammenspiel von Kirche und ihrem urbanen Umfeld sollte dabei eine wichtige Rolle zukommen (#St. Reinoldi). Zum Stadterneuerungsgebiet Bochumer Straße hieß es: »Das zukünftige Gesicht des Quartiers rund um die revitalisierte Bochumer Straße wird geprägt sein von Kultur, Wissenschaft und Bildung. Die historische Heilig-Kreuz-Kirche wird zukünftig der kulturelle Quartiersmittelpunkt sein.«

Monumentale Backsteinfassade

Diese positive Bewertung von Sakralbau und Umgebung war jedoch nicht immer so selbstverständlich gewesen. So lobte Paul Joseph Cremers 1930, ein Jahr nach der Fertigstellung der Kirche, »diese monumentale Backsteinfassade, die in ihrem strengen Aufbau, in ihrer himmelsstürmenden Gewalt würdig an die Backsteindome des deutschen Nordens erinnert«. Die Umgebung wertete er dagegen ab, sprach von der »häßlichen Mietshäuserstraße« und charakterisierte diese zudem als farblos, von Staub und Armut erfüllt. Auch 1944, in einem Nachruf auf Franke, lautete das Urteil ähnlich: »Das Bauwerk steht mitten in der verkniffenen, trostlosen Baumasse der Industriestadt, äußerlich durch viele Bezüge ihrem Verbande zugehörend, im Inneren aber im wohltuend erhebenden Gegensatz zu den vierkantigen Industriestadthäusern und Mietskasernen.« In beiden Fällen war es also die zeitgenössische Kirchenarchitektur, die als Beispiel für qualitätvolles Bauen inmitten einer negativ beschriebenen Umgebung verstanden wurde.

Umgebung mit Altbaubestand

Fünfzig Jahre später war diese positive Rezeption nicht länger selbstverständlich. 1979 erklärte Diakon Wilhelm Zimmermann, dass Frankes Kirche sowohl Bewunderung als auch Kritik auslöse, und notierte zum Eindruck des Gebäudes: »Wer vom ›Musiktheater‹ kommend von der Florastraße in die breite Ringstraße einbiegt, sieht schon von weitem den ›klotzigen‹ Bau in den Himmel ragen, dessen 41 Meter hoher Hauptturm von einem majestätischen Kruzifixus ›gekrönt‹ wird.«

Rund dreißig Jahre später ist von Ückendorf und speziell von der Bochumer Straße als »No Go-Area« die Rede. Diesem Image soll mit der 2011 gegründeten Stadterneuerungsgesellschaft mbH & Co. KG gezielt entgegengewirkt werden, indem die Umgebung der Heilig-Kreuz-Kirche mit ihrem Altbaubestand und den denkmalgeschützten Gebäuden durch verschiedene Sanierungsprogramme instandgesetzt und teilweise neu genutzt wird.

Kreativquartier Ückendorf

Für das künftige Programm im umgenutzten Kirchenbau ist die Emschertainment GmbH zuständig, die dort unter anderem Tagungen, Kongresse, Konzerte, Theater, Kleinkunst und Quartiersveranstaltungen ermöglichen möchte (#Kulturkirche Liebfrauen). Dem durch pbs Architekten – Gerlach Wolf Riedel neu gestalteten Sakralbau wird nun eine verbindende Rolle zwischen lokaler und regionaler Nutzung zugesprochen: »Die Kirche wirkt dabei sowohl mit ihren quartiersnahen Angeboten in den Stadtteil hinein wie auch mit überregional ausgerichteten Veranstaltungen ins gesamte Ruhrgebiet. Das Projekt fügt sich nahtlos in das Kreativquartier Ückendorf ein, das langfristig für Menschen verschiedenster Herkunft und Altersstrukturen attraktive Kultur- und Freizeitangebote schaffen soll.«

Wertschätzung

Dem Kirchengebäude kann in diesem Konzept, insbesondere in seiner Funktion als Veranstaltungsort für den Stadtteil wieder die Aufgabe als bedeutender Bezugspunkt für die Anwohner:innen zukommen, ähnlich der Bedeutung, die einst die sakral genutzte Kirche für ihre Gemeinde hatte. Die über die vergangenen Jahre hinweg kommunizierte Wertschätzung, die dem expressionistischen Backsteinbau nicht nur von der Denkmalpflege, sondern auch von Stadt- und Landespolitik entgegengebracht wird, dürfte ein wesentlicher Faktor für die Nutzung als (über-)regional relevanter Veranstaltungsort sein. Dabei erweisen sich wahrscheinlich sowohl die häufig fotografisch reproduzierte Fassade (#Die Fotokampagne) als auch die Wiedererkennbarkeit der Parabelform als wesentliche Werbemittel für die neue Nutzung.

Der vorliegende Text wurde zuerst publiziert in: Hans-Jürgen Lechtreck, Wolfgang Sonne, Barbara Welzel (Hg.): Religion@Stadt_Bauten_Ruhr, Dortmund 2021, S. 124–137.