Der öffentliche Charakter des Gebäudes

Sonja Pizonka

Das Museum Folkwang wurde 1960 nach vierjähriger Bauzeit eröffnet. Schon kurz nach dem Krieg waren erste Maßnahmen erfolgt, das schwer beschädigte Museumsgebäude (zwei umgenutzte Villen und ein 1929 fertiggestellter Erweiterungsbau von Edmund Körner) für einen reduzierten Ausstellungsbetrieb teilweise instand zu setzen. Zeitgleich begannen im Essener Hochbauamt die Planungen für einen Neubau. Ein Entwurf von 1952 zeigte einen rundum verglasten Bau, verwirklicht wurde die Idee jedoch nicht.

Schaufenster und Fensterbänder

Stattdessen entwickelten Hochbauamtsleiter Werner Kreutzberger, sein Mitarbeiter Erich Hösterey und der Essener Architekt Horst Loy ein differenziertes System der Lichtführung für jede Seite des Gebäudes. Im Süden eine Glasfassade, die neben dem Eingangspavillon als eine Art »Schaufenster« diente, im Westen geschlossene Wandflächen, im Norden und Osten auf circa zwei Meter Höhe angebrachte Fensterbänder. Diese lassen Tageslicht ein und bieten die für die Präsentation von gerahmten Kunstwerken benötigte Wandfläche. Auf einer zeitgenössischen Postkarte sind auf drei Bildern Ansichten des Museums zu sehen, der Eingang, die Lage an der Bismarckstraße und ein Innenhof. Das vierte Bild zeigt allerdings nicht das Museum Folkwang, sondern den Anbau des benachbarten Ruhrlandmuseums. Dieser war als Erweiterung der Ausstellungsräume in der Villa Knaudt (#Die Tradition der Kulturbauten) 1963 eröffnet worden.

Kunst im Mittelpunkt

Ein Jahr zuvor hieß es über das Nebeneinander der beiden Museen: »In der harmonischen Gruppierung zueinander soll jedem der beiden Museumsbauten die Selbständigkeit gewahrt bleiben, jedoch in Maß und Material die Ähnlichkeit der Bestimmung erkennen lassen. Mit ihren Grünanlagen, Ruheplätzen und Durchgangswegen wird die ›Museumsinsel‹ sich an die Grünzone des Aufbaugebietes Holsterhausen anschließen.« Aufgrund der Ähnlichkeiten dieser beiden Gebäude war es wohl unbeabsichtigt geschehen, dass die Südfassade des Ruhrlandmuseums auf der Postkarte abgebildet wurde.

Im neuen Museumsgebäude sollte die Kunst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. »Es war«, erklärte Architekt Horst Loy, »oberstes Gebot der gewählten Konzeption, das Bauwerk selbstlos hinter den Dienst am Kunstwerk zurücktreten und somit die Architektur den ausgestellten Werken unterordnen zu lassen. Diesem Bestreben entspricht die Zurückhaltung bei der baulichen Gestaltung und bei der Wahl edler, aber in der Wirkung schlichter Baumaterialien.«

Kontrollierter Lichteinfall

Diese Ausstellungsräume waren zeittypisch mit Teppichen, Stühlen und einem flexiblen Stellwandsystem ausgestattet wie auf einer Aufnahme  von etwa 1965 zu sehen ist. Eine Gruppe junger Frauen studiert eine Broschüre, während ein Mann ein Gemälde betrachtet. Im Hintergrund sind die schlanken Säulen vor den Fenstern zur südlich gelegenen Kahrstraße zu erkennen. Die Jalousien sind heruntergezogen, um die Sonneneinstrahlung zu reduzieren. Dies war von Anfang an aus konservatorischen Gründen notwendig. Das Tageslicht brachte die Farben und Oberflächen der Kunstwerke zu verschiedenen Tageszeiten jeweils individuell zur Geltung, aber da es keine Klimaanlage gab, erwärmten sich diese Räume an Sonnentagen übermäßig. Bis heute sorgen die Jalousien mit ihren Lamellen für einen kontrollierten Lichteinfall, die Temperatur in den Ausstellungssälen wird allerdings inzwischen über eine Klimaanlage geregelt.

Draußen und drinnen

Die Themen Licht und Transparenz waren wichtige Elemente der Museumsarchitektur dieser Zeit (#Über die Architektur von Kunstmuseen). Das Kunsthaus Glarus in der Schweiz (eröffnet 1952, Architekt: Hans Leuzinger) mit seinem teilweise verglasten Eingangspavillon sowie Sälen mit Seitenlicht beziehungsweise Oberlicht geht dem Museum Folkwang voraus. Auch der 1954 eröffnete, seitlich verglaste, Ausstellungspavillon des von Willem Sandberg geleiteten Stedelijk Museums in Amsterdam wird den Essener Architekten bekannt gewesen sein. Über diesen Anbau hieß es in der zeitgenössischen Presse: »[…] so sehen die Passanten von außen praktisch alles, was drinnen zur Schau gestellt ist – das sollen sie auch, meint Sandberg, ein Museum muß wie ein großes Warenhaus durch seine Objekte zum Eintreten auffordern –, wenn die Sonne scheint, sind Draußen und Drinnen, die Grünanlagen und Ausstellungssäle, eine lichtdurchflutete Einheit.«

Wettbewerb 1977

Das Gebäude des Museum Folkwang war schon nach wenigen Jahren zu klein für die ständig wachsende Sammlung und den kontinuierlichen Ausstellungsbetrieb. Es sollte allerdings 23 Jahre dauern, bis eine Erweiterung erfolgte. Der 1977 ausgeschriebene Wettbewerb erbrachte keinen ersten Preis, stattdessen wurden jene Büros, die jeweils die beiden zweiten Preise erhalten hatten, Kiemle, Kreidt und Partner sowie Allerkamp, Niehaus und Skornia, dazu aufgefordert, ihre Entwürfe als Architektengemeinschaft zusammenzuführen. 1983 eröffnete dann das neu gegründete Museumszentrum (#Ideen für das Museumszentrum Essen), bestehend aus dem Museum Folkwang und dem Ruhrlandmuseum mit seiner Sammlung zur Geschichte von Essen und Region.

Zweiter Zugang Bismarckstraße

Das Modell zeigt die Ansicht von Westen. Gut zu erkennen ist die Hofsituation, die von der Goethestraße zum neuen Eingang führt (#Bauten für Kunst und Kultur im Ruhrgebiet und ihre Standorte). Museumsdirektor Paul Vogt notierte dazu: »Der neue Haupteingang wird zu der verkehrsruhigen Zone der Goethestraße verlagert. Der Zugang erfolgt durch eine Grünanlage mit Sitzmöglichkeiten, in der zeitgenössische Skulpturen und Objekte aufgestellt werden können. Ein zweiter Zugang öffnet sich zur Bismarckstraße.« Die schon im Eröffnungsjahr 1960 als nachteilig empfundene Lage an der viel befahrenen Bismarckstraße sollte auf diese Weise städtebaulich optimiert werden. Der Bau des Museumszentrums wurde 2007 abgerissen. Das Ruhrlandmuseum erhielt unter dem Namen RuhrMuseum einen neuen Standort in der Kohlenwäsche der Zeche Zollverein im Essener Norden.

Enjoyment of Art

Auf dem durch Zukauf geringfügig vergrößerten Grundstück sollte nun ein Erweiterungsbau allein für das Museum Folkwang umgesetzt werden. Den international ausgeschriebenen Wettbewerb gewannen David Chipperfield Architects; der Bau wurde von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung finanziert. Um seine Ideen zu verdeutlichen, ließ David Chipperfield ein leinengebundenes Buch im Folioformat anfertigen. Als Ergänzung zu den meist digital erzeugten Visualisierungen schuf er eine Erzählung in Buchform, bei der historische Schwarzweiß-Fotos des Altbaus von 1960 und moderne Renderings des geplanten Neubaus das Konzept der Verbindung beider Bauten veranschaulichten. Ein Zitat von Ludwig Mies van der Rohe dient darin als Leitmotiv: »The first problem is to establish the museum as a centre for the enjoyment of and not the internment of art. Thus the barrier between the work of art and the community is erased.«

Mehr Übersichtlichkeit

Der Entwurf zeigt die neue Eingangssituation, die als teilweise überdachter Hof dargestellt wird. Beim fertiggestellten Bau gelangen Besucher:innen per Treppe, Aufzug oder Rampe zu dieser Übergangszone zwischen Museum und Stadt. Die Besucher:innen nutzen ihn als Treffpunkt vor dem Museumsbesuch, ebenso befindet sich an dieser Stelle die Außengastronomie des Cafés. Durch den Umstand, dass nach Betreten des Museumsgebäudes im sogenannten Neubau keine Höhenunterschiede mehr zu überwinden sind und Besucher:innen sich in diesem Gebäudeteil barrierefrei vom Foyer zu Shop und Lesesaal sowie den großen Ausstellungsbereichen begeben können, wurde das Überwinden der bei Mies van der Rohe zitierten Grenze zwischen Kunst und der (städtischen) Gemeinschaft tatsächlich architektonisch erleichtert. David Chipperfield erklärte das Konzept so: »Wir haben den öffentlichen Charakter des Gebäudes betont. Es öffnet sich jetzt mit einem Innenhof zur Straße hin, zur Stadt, und ist durch die vielen großen Fenster sehr durchlässig. Außerdem wollten wir mehr Übersichtlichkeit herstellen. Dafür haben wir alle für die Öffentlichkeit gedachten Räume auf einer Ebene im Erdgeschoss angesiedelt.«

Der vorliegende Text wurde zuerst publiziert in: Hans-Jürgen Lechtreck, Wolfgang Sonne, Barbara Welzel (Hg.): »Und so etwas steht in Gelsenkirchen…«, Kultur@Stadt_Bauten_Ruhr, Dortmund 2020, S. 104–117.