Licht im Dunkeln

Anna Kloke

Die Schaffenszeit des Architekten Josef Franke (1876–1944) ist geprägt von zwei Weltkriegen, dem Ruhraufstand und der Weltwirtschaftskrise. Sein Nachlass stellt einen der persönlichsten Bestände im Baukunstarchiv NRW dar. Die Familie vertraute dem Baukunstarchiv neben Planungsunterlagen, Fotografien und verschiedenen Publikationen auch persönliche Dokumente wie Feldpost, Kondolenzschreiben und medizinische Unterlagen an.

Frankes Wirken im Spiegel der Presse

Als Franke im Januar 1944 verstarb, erschienen in Regionalzeitungen wie »Der Mittag« und der »Rheinisch-Westfälischen Zeitung« Nachrufe auf den gebürtigen Wattenscheider, die die Bedeutung, Fülle und Vielseitigkeit seines Wirkens vor allem für das Ruhrgebiet zu jener Zeit hervorhoben. Neben Privat-, Wohn- und Geschäftshäusern, Wohnsiedlungen, Schul-, Verwaltungs- und Industriebauten erlangte Franke besonders durch Kirchen vorwiegend regionale Bekanntheit. Franke, stark »sowohl im Erfinden wie im praktischen Lösen der gerade dazumal im Industriegebiet ständig erwachsenden Aufgaben«, habe mit seinen Bauten den »düster-tristen Industriestadtgesichtern aufhellende Züge« verliehen, so »Der Mittag«. Er habe Baubilder und Grundrisse erfunden, die »auf der sicheren Wahrnehmung des Notwendigen und der Möglichkeiten, der Zweckbestimmung der örtlichen Gegebenheiten und zuvörderst des inwendigen tragenden Sinnes« beruhten. 1929 wurde die Heilig-Kreuz-Kirche in Gelsenkirchen Ückendorf im Stil des Backstein-Expressionismus errichtet, Frankes wohl bedeutendstes Werk. Das eigentlich »in einer Industriestadt zum Absterben verurteilt[e]« gotische Formgefühl, habe sich insbesondere mit diesem Bau seinen Durchbruch verschafft, so die Würdigung im Nachruf.

Kurz nach Fertigstellung der Heilig-Kreuz-Kirche wurde Franke von Franziskanerinnen mit dem Bau des Lyzeum Aloysianum mit realgymnasialer Studienanstalt in Gelsenkirchen Bulmke-Hüllen beauftragt.

Aufbau und Gliederung des Aloysianums

Betrachtet man den Lageplan des 1931 fertiggestellten Schulgebäudes, so erkennt man ein ebenmäßig rechteckiges Grundstück, auf das eine reich gegliederte, asymmetrische Grundrissform gesetzt wurde. Sie teilt das 12.000 Quadratmeter große Gelände in einen Schul- und einen Turnhof. Franke gliederte den Bau vor allem nach seinen funktionalen Ansprüchen. So sollte die Lage der Klassenräume im mittleren Längsbau eine Sonnenblendung der Schüler verhindern. Im Bereich des Erdgeschosses markieren sechs Stützen eine eingerückte Pausenhalle, von deren Dach aus das Lehrpersonal die Pausenaufsicht über den Hof führen sollte. An den Längsbau schließt entlang der Schultestraße ein Quergebäude an, das neben den Sälen für die Naturwissenschaften, in der Flucht leicht versetzt, auch die Aula und die Turnhalle beherbergt. Diese ebenfalls von der Öffentlichkeit frequentierten Orte lokalisierte Franke in direkter Verbindung zum Straßeneingang. Vis-a-vis des örtlichen Gemeindefriedhofs an der gegenüberliegenden Seite des Schulgeländes schließt das Schwesternhaus an. Es wird mit dem mittleren Lehrtrakt über einen Riegel verbunden, der in einer Apsis mündet. Hier war die von Franke entworfene Kapelle des Hauses untergebracht. In einer Perspektivzeichnung des Hofes erkennt man, wie sich die einzelnen Gebäudetrakte durch ihre Höhe, Vor- und Rücksprünge unterscheiden und damit charakterisieren. Die Kapelle gibt sich nicht nur über eine Rundung in Dach und Mauerwerk, sondern auch durch ein appliziertes Kreuz und große Fensteröffnungen im Hochformat zu erkennen. Umlaufende Gesimse aus Sandstein betonen die Horizontale und verbinden die einzelnen Fassaden zu einer Einheit. Querrechteckige Sprossenfenster schließen an die Gesimse an oder werden hiervon eingefasst. Die hellen Sandsteinbänder kontrastieren mit dem dunklen Ziegel, ein kostengünstiges, sich Industriegasen widersetzendes Baumaterial, mit dem sich der Bau den Häusern der Umgebung anpassen sollte.

Ein Längsschnitt durch die Kapelle und den Mittelbau samt Treppenhaus zeigt die klassische Dachstuhlkonstruktion und die Zweigeschossigkeit der Kapelle. Interessant an diesem Blatt sind vor allem die leichten Korrekturen, die Entwurfsgedanken nachvollziehen lassen. Ist hier vom Mittelbau aus gesehen das letzte von fünf Souterrain-Fenstern schlicht durchgestrichen, so fehlt in der Perspektivzeichnung das vorletzte Fenster, wodurch der Bereich der Apsis optisch abgegrenzt wird.

Die baustilistische Einordung des Aloysianums

Prägt trotz ihrer geringen Höhe die Dachlandschaft der traditionellen Walmdächer vom weitläufigen Schulhof aus gesehen die Ansicht der Schule, wirkt sie zugleich vom schmalen Straßenraum am Haupteingang Schultestrasse wie ein modernes Flachdachgebäude. Ein Eindruck, den ebenfalls die historischen Fotografenaufnahmen wie auch eine weitere Perspektivzeichnung Frankes aus dem Archivbestand vermitteln. Die Perspektive zeigt eine Entwurfsvariante der Eingangssituation, die mit einflügeliger Tür und kleinem Vordach weniger imposant wirkt. Auch hier ist der Winkel so gewählt, dass die Gebäudetrakte den Eindruck moderner ineinander verschachtelter Kuben erwecken.

Neben einem filigran wirkenden Flachdach in optischer Fortführung des Gesimses, ist der tatsächlich realisierte Haupteingang geprägt durch die gemauerten Dachstützen, die breite, wangengefasste Freitreppe und die lateinische Inschrift – ein Gruß der Franziskaner – »pax et bonum« (»Frieden und Wohlergehen«). Dies ist eine der wenigen Stellen, an denen ein expressionistisches Spiel mit den geometrischen Formen der Ziegel am Gebäude zu finden ist. Entworfen hatte diesen Bauschmuck Frankes damals 16-jährige Tochter Margarethe. Besonders aufwendig gestaltetet wurde eine Toranlage zum Schulhof, von der nur noch die Baustellenpläne im Baukunstarchiv zeugen. Die Ziegelmauer des Schulhofes zieht sich, wie auf dem Plan zu erkennen, zum Tor stufenweise zurück, wodurch ein kleiner Vorplatz entsteht. Zwei anschließende Fußgängereisentore werden durch zwei markant hoch gezogene Stützpfeiler vom mittleren Durchfahrtstor mit der Seneca-Inschrift »NON SCHOLAE SED VITAE DISCIMUS« (»Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir«) getrennt. Der symmetrische Aufbau der Toranlage mit ihrem geometrischen Formenspiel ist geschickt durch den nicht-symmetrischen Verlauf der Schrift gebrochen worden.

Josef Franke wird häufig als moderner Traditionalist bezeichnet, eine Beschreibung, die auch auf das Gebäude des Aloysianums zutrifft. Die starke Horizontalgliederung und Staffelung der Baukörper entstammen zusammen mit den filigran wirkenden Flachdächern des Haupteingangs sowie des Vordachs an der Schulhofseite und nicht zuletzt der gestalterisch anspruchsvollen Schultoranlage dem Formenkanon der Neuen Sachlichkeit und weisen zudem typische Elemente des im rheinisch-westfälischen Industriegebiet weit verbreiteten Backsteinexpressionismus auf. Sie stehen jedoch im Kontrast zu den traditionellen Walmdächern des Komplexes. In einer von Franke 1917 herausgegeben Publikation seiner Arbeiten, hält er fest: »Der Zweck geht über die Wirkung, der Inhalt geht über die Form.«

Die (Bau-)Historie des Aloysianums

Das 1931 eingeweihte Aloysianum hatte trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation während der Weltwirtschaftskrise rund 600 Schülerinnen in 18 Klassen. 1938 schlossen die Franziskanerinnen auf Druck der Nationalsozialisten die Schule. Die Stadt Gelsenkirchen erwarb das Schulgebäude und eröffnete 1939 die nach Emil Kirdorf benannte Kirdorf-Oberschule für Mädchen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude bis zur fast vollständigen Zerstörung im November 1944 hauptsächlich als Lazarett genutzt. Im März 1946 konnte der Unterricht an der nun Ricarda-Huch-Gymnasium genannten Schule wieder aufgenommen werden. Der Wiederaufbau des Gebäudes dauerte bis 1955. Im Bereich des Kapellentraktes steht heute ein rechtwinkliger Baukörper, der zwar ebenfalls eine Klinkerfassade und ein Walmdach aufweist, jedoch weder Sprossenfenster noch ein durchgehendes Sandsteingesims. Der Bereich der Aula, der – wie in der Perspektivzeichnung und auf Archivfotos zu erkennen – über ein einzelnes großformatiges, liegendes Fenster verfügte, ist seit dem Wiederaufbau durch eine Reihe großer, vertikaler Fensterformate markiert . Auch im Bereich der Säle der Naturwissenschaften wurde auf kleinteilige Sprossenfenster verzichtet. An diesen Flügel schließt seit Mitte der 1990er Jahre ein Neubau an, der kaum mit der Architektursprache Frankes korrespondiert.

Fazit

Waren Frankes Entwürfe zu Beginn noch deutlich dem Historismus verhaftet, so zählen seine Bauten in den 1920er Jahren hauptsächlich zum Backsteinexpressionismus und später zur Neuen Sachlichkeit. Die Bedeutung seines Wirkens zeigt die Vielzahl seiner unter Denkmalschutz stehenden Bauten, insbesondere in seinem Wohnort Gelsenkirchen. Sie sind steinerne Zeugen der rasanten städtebaulichen Entwicklung des Ruhrgebietes zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Nachlass Frankes im Baukunstarchiv NRW dokumentiert darüber hinaus das Leben und Wirken eines Architekten inmitten gesellschaftlich und politisch labiler Zeiten.

Der vorliegende Text wurde zuerst publiziert in: Hans-Jürgen Lechtreck, Wolfgang Sonne, Barbara Welzel (Hg.): Bildung@Stadt_Bauten_Ruhr, Dortmund 2022, S. 68–85.