UmBAUkultur
Die Transformation des Dortmunder U

Niklas Gliesmann

Das Dortmunder U zählt heute als Erinnerungsort der Industriekultur zu den Landmarken im östlichen Ruhrgebiet und ist ein weithin sichtbares Wahrzeichen in der Stadt Dortmund. Im Strukturwandel der frühen 1990er Jahre gab man den Brauereistandort an der Rheinischen Straße auf, und durch den Abriss der Gebäude der Union-Brauerei wurde das innenstadtnahe weitläufige Gelände wieder verfügbar; es brauchte eine neue städtebauliche Konzeption. Einzig das 1926/1927 durch Emil Moog errichtete Gär- und Lagergebäude, der U-Turm, blieb vom alten Ensemble der Fabrikanlagen erhalten und wurde aufgrund seiner Bedeutung als erster Hochhausbau Dortmunds unter Denkmalschutz gestellt. Auf ihn ist seit 1968 das große goldene und heute namensgebende U montiert, und mit ihm verbinden sich noch immer die Erinnerungen der Stadtbevölkerung an die erfolgreichen Zeiten der Dortmunder Bierindustrie.

Neue Zielsetzung

Man entschied, aus dem abgeschlossenen Bauwerk, das allein dem Verarbeiten und gekühlten Lagern gedient hatte, einen offenen Ort für das lebendige Spektrum von Kultur und Wissenschaft im digitalen Zeitalter zu formen. Mit der neuen Zielsetzung sollte zugleich die Anbindung des Union-Viertels an die Innenstadt neu gelingen und das Viertel aufgewertet werden. Ausgezeichnet mit einem der 2. Plätze im Wettbewerb (zusammen mit Gernot Schulz) begann das in Dortmund ansässige Büro Gerber Architekten, das abgetrennt von seiner industriellen Vergangenheit zum Stillstand gekommene Gebäude 2007 zu transformieren, es zu öffnen, und den Denkmalbestand so der neuen Nutzung und Erhaltung zuzuführen. Das Gebäude erstand so binnen zwei Jahren neu als größtes Ausstellungsstück im Komplex des »Dortmunder U – Zentrum für Kunst und Kreativität« und wurde im Jahr der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 eröffnet.

Genius loci

Der Genius loci – also die in seiner Geschichte fundierte Gestalt des Ortes und seine Präsenz als Bauvolumen in der Stadt – sollte nach Eckhard Gerbers Vorstellung beim Umbau offensichtlich bleiben. Die Verbindung von Vergangenheit und Zukunft im U-Turm wurde deswegen bewusst baukünstlerisch hervorgehoben. Auf einigen Etagen blieben die industriellen Deckenkonstruktionen mit den schweren Unterzügen sowie mit den bisweilen den Blick und Weg störenden massiven Pfeilern sichtbar. An diesen Stellen und im gewachsenen winkeligen Grundriss des Gebäudes bleibt die ursprüngliche Bestimmung dieses Industrieortes erkennbar und lässt sich weiterhin im historischen Denkraum erfassen.

Kunst-Vertikale

Die ehemals außer zur industriellen Produktion unzugänglichen und weitgehend getrennten Etagen mit Gärbecken und Fassanlagen wurden von Einbauten geräumt und untereinander verbunden. Ein Öffnen der Bodenplatte auf jeder Etage ermöglichte die Gestaltung der Kunst-Vertikale, die jetzt vom inneren Foyer im Erdgeschoss bis hinauf zur außen liegenden Dachterrasse auf der obersten begehbaren Ebene eine Verbindung schafft. Die eingebauten Rolltreppen gestatten ein schauendes Bewegen im offenen und in seinen Dimensionen nun erkennbaren Raum, wie das Schnittmodell der Kunst-Vertikale es gut zeigt. Das Ersteigen der Höhe in diesem Raumteil ist, um Eckhard Gerbers Schilderung aufzugreifen, nicht als inhaltslose Reihung der Gänge und Wege Etage um Etage gedacht, sondern eröffnet die Möglichkeit, Raum in der eigenen Körperlichkeit durchschreitend zu erfahren und als die eigene Wahrnehmung prägend zu verstehen. Das Äußere und Innere eines Gebäudes so fließend zu erleben, dient dazu, seine Struktur und Funktion zu verstehen.

Die Strecke durch jedes Obergeschoss lässt somit Gelegenheit für eigene Wegfindungen der Besucherinnen und Besucher. Sie gestattet große Variabilität im Nutzen der Themenangebote der im U zusammenarbeitenden Partner und ihrer unterschiedlichen Angebote von der Hochschuletage, über die UZWEI – Kulturelle Bildung und den Hartware Medienkunstverein bis unter das Dach ins Museum Ostwall.

Hinzugefügte Öffnung zur Stadt

Die Idee der Raumdurchdringung realisierte Gerber Architekten des Weiteren an verschiedenen Schnittstellen des Gebäudes zwischen Innen und Außen. Der hervortretende neue Haupteingang im Osten des U setzt eine Referenz auf die ehemals dort stattfindenden Prozesse des Produktionsumschlags, war doch das Erdgeschoss der Platz, an dem die gelagerten Bierprodukte den Weg der Weiterverteilung antraten und die Rohwaren ins Gebäude kamen. Auffälligste hinzugefügte Öffnung zur Stadt aber ist ein kubisch aus der Fassade hervortretender Raum mit bodentiefen Fenstern. Betritt man diesen so genannten »Lautsprecher« auf der vierten Ebene, wird man ganz vom Rotton der Wände umfangen, der die neuen raum- und funktionsstiftenden Hinzufügungen durch Gerber Architekten überall im Gebäude kennzeichnet. Die Glaswand eröffnet den gerahmten Blick auf die Dortmunder Innenstadt.

Erinnerungsraum Industriekultur

Auf die halbe begehbare Höhe des Gebäudes gehoben, blickt man so auf den Vorplatz des U, den vielbefahrenen Wall und die Silhouette der alten Stadt jenseits des Walls. Die Türme von St. Petri vorne und der Stadtkirche St. Reinoldi etwas weiter dahinter gelten seit Jahrhunderten als Merkmal der Stadt Dortmund und finden sich in den ältesten Stadtansichten des späten 15. Jahrhunderts. Das U setzt die Besucherin und den Besucher hier nochmal auf andere Art in Korrespondenz zur vielfältigen Erzählung einer Stadt und zu den Zeitschichtungen ihrer Vergangenheit. Auch auf der Nordseite des Gebäudes ist für die Bibliothek ein gleichartiger großer Raum verwirklicht worden. Der Blick dort rahmt die gebliebene technisch-industrielle Geschichte Dortmunds.

Die zu Füßen der Besucherin und des Besuchers laufenden Gleise zum Hauptbahnhof Dortmund evozieren die für den Standort ehemals so wichtige Anbindung an die Eisenbahn zum Rohstoff- und Produkttransport. Im Bildfeld erscheinen das Areal der Kokerei Hansa und der Deusenberg, die Bebauung am Hafengelände sowie der Hammerkopfturm der ehemaligen Zeche Minister Stein als weitere industrielle Landmarken und weiten nochmals den Erinnerungsraum Industriekultur. Die Weite dieser eingearbeiteten Öffnungen in der Fassade kontrastiert erneut mit dem Wissen um die vergangene industriell-funktionale Abgeschlossenheit des Gebäudes.

Aussichtspunkt

Gerber Architekten hat die Aufwertung der Dachfläche durch die Instandsetzung der sogenannten »Kathedrale«, dem alten zentralen Kühlanlagenraum hinter den Dacharkaden und unter dem goldenen U vorangetrieben. Dort hat ein Fest- und Aufenthaltsort über den Dächern der Stadt seinen Platz gefunden. Auch die daran anschließend gestaltete Dachterrasse setzt die Bezüge des Dortmunder U zur Stadt in ein neues Licht. Heute ist sie einer der beliebtesten Besucherorte im Gebäude und als Aussichtspunkt auch ein Ort der schauenden Orientierung in die Stadt und ins Umland hinein.

Vorstellungen von zukünftiger Urbanität

Das erneuerte U eröffnet heute auch allen Dortmunder Einwohnerinnen und Einwohnern, die es nicht mehr als Produktionsort erlebt haben, eine Wahrnehmung ihrer nachindustriellen Stadt und bewahrt zugleich eine identitätsstiftende städtische Erzählung von Bier, Erfolg und Wohlstand. Der öffentlich begleitete Umbauprozess steht am Beginn eines mit dem Strukturwandel gewachsenen Selbstbildes der Einwohner und Einwohnerinnen der transformierten Metropole Ruhr, die die Industriehochzeit hinter sich lassen musste und in den Bereichen Technologie, Dienstleistung und Wissenschaft in den vergangenen dreißig Jahren eine neue Geltung erlangt hat.

Das geschichtsträchtige Gebäude erzählt von seiner eigenen Identitätsaushandlung und wird gesellschaftlich wahrgenommen, besucht, diskutiert und erforscht. Seit seiner Inbetriebnahme wird das U immer wieder als Projektionsort einer neuen Stadtgesellschaft befragt und die Befragenden werden herausgefordert dabei in den Austauschprozess über Vergangenheit und Vorstellungen von zukünftiger Urbanität einzutreten.

Der vorliegende Text wurde zuerst publiziert in: Hans-Jürgen Lechtreck, Wolfgang Sonne, Barbara Welzel (Hg.): »Und so etwas steht in Gelsenkirchen…«, Kultur@Stadt_Bauten_Ruhr, Dortmund 2020, S. 280–293.